Terrorvorwürfe als Dank

Ägyptens Ärzte werden zur Zielscheibe von Regierung und Staatsmedien

  • Philip Malzahn
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Titelseite der staatsnahen Zeitung »Al-Dustur« - die Verfassung - am 28. Mai enthielt Bilder diverser ägyptischer Ärzte, darunter Dr. Mona Mina, die Vizevorsitzende der Gewerkschaft Ägyptisches Ärztesyndikat, über deren Köpfen geschrieben stand: »Allesamt Mitglieder der Bruderschaft.« Die Muslimbruderschaft ist die größte oppositionelle politische Gruppe im Land und Staatsfeind Nummer eins. Ein Engagement in ihrem Sinne gilt als Terrorismus und Staatsverrat; darauf steht die Todesstrafe.

Bereits am 25. Mai hatte die Zeitung »Al-Ahram« versucht, den Tod eines an Covid-19 verstorbenen Arztes mit der Muslimbruderschaft in Verbindung zu bringen. In einem Artikel stand: »Mitglieder der Bruderschaft tun ihr Bestes, um den Willen der Gesellschaft zur Bewältigung der Coronakrise oder einer anderen Krise zu unterdrücken, indem sie versuchen, sektiererische Konflikte zu entfachen. Heute sind es die Ärzte; morgen werden sie auf Arbeiter abzielen und so weiter, bis das Land, das diese Gruppe verboten hat, zusammenbricht.«

Doch wie kam es dazu? In Ägypten stehen, wie überall auf der Welt, Ärzte im Kampf gegen die Corona-Pandemia an vorderster Front. Die Bedingungen sind äußert schwierig: Das Gesundheitssystem gilt als marode. Bei der Bekämpfung des Virus stößt es zusätzlich an seine Grenzen. Doch dazu kommt die autoritäre Regierung des Präsidenten Abdel Fattah el-Sisi. Auf kritische Äußerungen jeglicher Art reagiert sie mit Verhaftungen und einer Hetzkampagne, ausgetragen durch staatstreue Medien.

Im 100-Millionen-Einwohner-Land gab es am 7. Juni über 34 000 bestätigte Fälle, darunter knapp 10 000 Genesene und genau 1237 Tote. Während die Infektionskurve sowie die Todeszahlen sich insgesamt stabilisierten, steigt sie unter Ärzten rasant. Von insgesamt 372 infizierten Ärzten sind bereits 33 gestorben; zwölf davon seit dem 26. Mai. Die Gewerkschaft Ägyptisches Ärztesyndikat hatte am Tag zuvor einen Brief an das Gesundheitsministerium veröffentlicht. Das Syndikat machte das Gesundheitsministerium für die Zunahme von Infektions- und Todesfällen unter Ärzten verantwortlich und drohte, »alle rechtlichen und gewerkschaftlichen Maßnahmen zu ergreifen, um das Leben seiner Mitglieder zu schützen und alle an diesem Versagen Beteiligten zu verfolgen.«

Es folgten Solidaritätsbekundungen in den sozialen Medien, aber auch Verhaftungen. Die Vorgehensweise der Regierung ist typisch: Mit scharfen Anti-Terror-Gesetzen schafft man sich die rechtliche Grundlage, flächendeckend alle Bürger zu verfolgen. Die Angst vor einem zweiten Arabischen Frühling ist seit dem Amtsantritt al-Sisis 2013 groß. Durch eine schwächelnde Wirtschaft und die Coronakrise wurde sie noch einmal verschärft. Allerdings erinnert die Vorgehensweise der Regierung an die des Ex-Präsidenten Hosni Mubarak. 2011 war die Wut der Bevölkerung auf die durch die Regierung erfahrene Ungerechtigkeit so groß, dass er nach wenigen Wochen des Massenprotests im Februar 2011 zum Rücktritt gezwungen wurde.

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