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Regionale Verluste im Kalten Krieg

Trump zieht Soldaten ab aus Deutschland - Länderchefs werben bei US-Politikern um Truppenverbleib

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Im gesamten Monat August, so kündigte die US-Armee vor ein paar Tagen an, finden Übungen im Landkreis Fürth statt. Mehrere Gemeinden seien Tag und Nacht davon betroffen. Es wird gebeten, dass sich die Bürger von der übenden Truppe fernhalten. Man verteilte zugleich Telefonnummern, unter denen betroffene Bürger ihre Beschwerden anbringen können.

Dass die Nummern wie in vergangenen Jahrzehnten zahlreich genutzt werden, ist eher unwahrscheinlich. Erstens, weil die Anzahl und die Intensität der US-Übungen in Deutschland abgenommen haben. Zweitens kuschen Landkreise aus Sorge, dass »ihre« US-Soldaten demnächst ganz abrücken.

Geht es nach dem Willen von Präsident Donald Trump, werden demnächst 9500 der rund 34 500 in der Bundesrepublik stationierten US-Soldaten abziehen. »Deutschland ist seit Jahren säumig und schuldet der Nato Milliarden Dollar«, begründete der ungediente Chef aller US-Streitkräfte die Entscheidung. Doch das ist allenfalls propagandistisches Beiwerk für die neuen Stationierungspläne.

Keine Frage: Die Neuorientierung von US-Truppen in Europa folgt auch Effektivitätsgründen. Während Deutschland - laut einer Auskunft auf Fragen der Linksfraktion - in den vergangenen zehn Jahren rund eine Milliarde Euro für die Stationierung von US-Truppen aufgewendet hat, geben die USA dafür allein in diesem Jahr rund 7,2 Milliarden Euro aus, behauptet das Pentagon. Das will jedoch seinen Etat stärker auf investive Vorhaben ausrichten, denn: Neue High-Tech-Waffen, mit denen sich Washingtons strategische Kompetenz gegenüber Russland und vor allem China ausbauen lässt, sind teuer. Dabei sind die Folgen von Corona für den US-Haushalt noch gar nicht absehbar.

Dass US-Kampftruppen näher an mögliche Einsatzräume, also in den Osten und damit an die russischen Grenzen verlegt werden sollen, ist jedoch lange vor Ausbruch der Pandemie bekannt geworden. Und auch, dass die Regierung in Warschau versprochen hat, milliardenschwere Stationierungskosten aufzubringen. Kurz vor seiner gerade erfolgten Wiederwahl erweiterte Präsident Andrzej Duda - der im Gegensatz zur deutschen Regierungschefin ganz nach dem Geschmack Donald Trumps ist - diese Offerte.

Seit Jahren bereits lässt Polen vor allem bislang wenig genutzte Militärdepots an seiner Ostgrenze in Schuss bringen. Die jetzt dort stationierte Technik ist bereit, von rasch einzufliegenden US-Kampftruppen übernommen zu werden. Zugleich wird mit den USA - jenseits von Nato-Plänen - eine gemeinsame Flug- und Raketenabwehr aufgebaut. Auch die US Air Force verlegt Jets »nach vorne« und stationiert Drohnen in Polen. Die aus Deutschland nach Polen zu verlegenden US-Soldaten schlagen also nicht hart im Nichts auf.

Wohl aber fürchten Politiker und regionale Wirtschaftsverbände in Süd- und Westdeutschland, ins Bodenlose zu fallen.

Tatsächlich sind die wirtschaftlichen Effekte erheblich. In Rheinland-Pfalz ist beispielsweise mehr als die Hälfte der »deutschen« US-Soldaten stationiert. Zu den rund 18 500 Militärangehörigen kommen 12 000 US-Zivilbeschäftigte und mindestens 25 000 Familienangehörige. Außerdem werden 7200 deutsche Zivilangestellte von den US-Streitkräften beschäftigt und bezahlt.

Vor Jahren bereits schätzten Experten, dass durch die amerikanische Truppenpräsenz in Deutschland eine Wirtschaftskraft von 2,35 Milliarden US-Dollar generiert wird. 1,12 Milliarden würden als Löhne und Gehälter in den Regionen verbleiben, 400 Millionen für Baumaßnahmen, Dienstleistungen, Material, Beschaffungen und Ausrüstung ausgegeben. Kurzum: Viele Gebiete in Deutschland leben davon, dass der Kalte Krieg zumindest am Köcheln gehalten wird. Sie nehmen sogar in Kauf, dass das vor ihrer Haustür geschieht. Überlegungen, so in einem möglichen Konflikt mit Russland selbst zur Zielscheibe zu werden, stehen hintan.

Im Gegenteil. So wie verschiedene Kongressabgeordnete in den USA betonen die Ministerpräsidenten der deutschen Stationierungsländer Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz in ihrem aktuellen Schreiben sogar, dass die Militärpräsenz den strategischen Interessen der USA diene und daher »in ihrer Bedeutung für die transatlantische Partnerschaft nicht hoch genug einzuschätzen« sei.

Das freilich wissen die Planer im Weißen Haus und im Pentagon selbst und beziehen bestimmte deutsche Stationierungsorte durchaus in ihre strategischen Überlegungen ein. Übungsplätze wie der in Grafenwöhr werden vermutlich nicht dazu gehören, auf dem Gebiet hat Polen mehr zu bieten. Standorte wie Ramstein sind von anderem Kaliber. Über die Air Base läuft die Versorgung von US-Einsätzen im Nahen und Mittleren Osten. Und auch als Relaisstation für extralegale Drohneneinsätze ist das US-Militärzentrum in Rheinland-Pfalz unersetzbar. Gerade ausgebaut wurde das größte US-Lazarett außerhalb der Vereinigten Staaten im nah gelegenen Landstuhl. Kaum denkbar also, dass sich das Pentagon davon trennt.

Strategisch interessant bleiben die Patch Barracks in Stuttgart. Hier ist nicht nur die Zentrale der US-Army in Europa, von hier aus werden die europäischen Spionageoperationen der NSA sowie alle militärischen Special Operations auf dem Kontinent gelenkt. Ähnlich wichtig im Planungssystem des Pentagon ist der US-Komplex im hessischen Wiesbaden. Unter Fachleuten kontrovers debattiert wird noch, ob die USA ihre taktischen Atombomben aus Büchel abziehen und gleichfalls nach »vorne« verlegen. Die polnische Luftwaffe scheint gerne bereit, mehr Aufgaben innerhalb der Nuklearen Teilhabe der Nato von der Bundeswehr zu übernehmen.

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