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»Schwache werden schwächer«

Triathlet Sebastian Kienle über das Leben und Trainieren mit Corona

  • FRank Hellmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Corona hat auch die Saisonplanung der Triathleten torpediert. Sie sind zudem auch noch im Trainingslager in St. Moritz mit dem Rad gestürzt. Was ist da passiert?

Wie das so oft im Leben geschieht: In dem Moment, wo keine wirklich Gefahr droht, ist man unaufmerksam. Auf einer geraden Straße vor einer Baustelle lag Rollsplit, ich war nicht wirklich schnell, aber habe das nicht direkt gesehen und dann ist mir mein Vorderrad weggerutscht. Ich bin relativ heftig auf die linke Seite gefallen und habe sofort gemerkt, dass mein Schlüsselbein durch ist. Ich glaube, die Orthopäden und Chirurgen der Gut-Klinik in St. Moritz haben sich gefreut, dass es mal wieder einen Patienten gibt, bei dem man etwas operieren kann - ohne Corona (lacht). Jetzt bin ich seit einiger Zeit auch schon wieder im Wasser, auch wenn ich noch nicht mit voller Intensität schwimmen kann.

Es gab monatelang keine Wettkämpfe. Nun soll am 29. August in Davos das erste Saisonrennen stattfinden und Sie wurden als Topstarter angekündigt. Wie realistisch ist die Austragung?

Fakt ist, dass in der Schweiz schon Sportevents stattgefunden haben. Es gibt die Genehmigung für das Rennen, aber jeder weiß, dass sich das Infektionsgeschehen von Woche zu Woche, von Tag zu Tag ändern kann. Ich hoffe, es kann stattfinden, weil dann sicherlich weitere Rennen folgen werden.

Werden diese offen für Profis und Altersklassenathleten sein?

Entweder geht es mit den Amateuren oder gar nicht. Es ist eigentlich zu 100 Prozent klar, dass es kein reines Profirennen geben wird, das lohnt sich für keinen Veranstalter.

Sie widersprechen ihrem Rivalen und Freund Jan Frodeno. Der hat kürzlich gesagt, Triathlon mit aus aller Welt anreisenden Teilnehmern sei so ziemlich die letzte Sportart, die wieder startet.

Viren kennen keine Grenzen, aber trotzdem hat das Coronavirus keine Beine. Es läuft nicht in der Weltgeschichte herum, sondern reist mit den Menschen. Deshalb ist der Ironman Hawaii ja so schwierig. Daher kann ich mir deutlich eher Sportveranstaltungen in Europa mit Athleten vorstellen, die aus Ländern mit ähnlicher Infektionslage kommen.

Also war die Absage des Ironman Hawaii, der im Februar 2021 stattfinden sollte, nur folgerichtig?

Ja. Mich hat trotzdem gewundert, warum das verhältnismäßig früh erfolgte. Bis jetzt war ja die Taktik, mit solchen Entscheidungen so lange zu warten bis Städte oder Länder die Ausrichtung untersagen. Für uns ist damit natürlich die wichtigste Perspektive weg.

Sie haben zu Beginn der Pandemie ein Bild gepostet, bei dem Sie angeblich Kloopapier kaufen und haben geschrieben, es sei eine Frage der Betrachtung, ob das Glas halb leer oder voll ist. Wie ist es jetzt?

Ich würde immer noch sagen, es ist halb voll. Ich war kurz vor dem Lockdown noch auf Fuerteventura und kann sagen, dass es uns im Vergleich zu Spanien in Deutschland wirklich gut ging: Wir durften immer raus und uns bewegen. Aber die Coronakrise wird sowohl in der Wirtschaft als auch im Sport dafür sorgen, dass die Starken stärker und die Schwachen schwächer werden. Im Triathlon verdienen die meisten Profis nur Geld, wenn sie entsprechende Platzierungen liefern. Fürs Trainieren wird keiner bezahlt.

Hatten Sie das Gefühl, dass der Fußball gegenüber anderen Sportarten eine privilegierte Behandlung erfahren hat?

Da hat sich niemand vorgedrängelt, sondern es ist einfach nur klar, dass Fußball für unheimlich viele Menschen ein täglicher Teil des Lebens ist. Die Nachfrage erzeugt den Druck auf die Politik, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass dafür Regeln gebeugt werden. Wo ich eher die Augenbrauen heben würde, wäre der Fall, wenn im Herbst wieder Zuschauer in die Stadien kämen, wir aber kein Rennen machen könnten. Dann würde mit zweierlei Maß gemessen.

Um die Langdistanz liefern sich Ironman und der Ausrichter Challenge einen erbitterten Machtkampf um die Deutungshoheit. Tut das der Sportart wirklich gut?

Wenn unter den Veranstaltern eine Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung herrschen würde, wäre das für uns Athleten das Wort-Case-Szenario. Denn das würde ja heißen, dass es einen Monopolisten gibt. Der einzige Grund, dass es uns Triathleten in dieser Sportart recht gut geht, ist ja, dass es eine Alternative gibt. Ob sich Ironman und Challenge immer juristisch auseinandersetzen müssen, ist natürlich eine andere Frage.

Nach welchen Kriterien entscheiden Sie?

Bei mir steht die sportliche Wertigkeit eines Rennens immer vornean. Ich schaue tatsächlich oft, was Jan Frodeno macht - dann versuche ich, da auch unterzukommen, weil das sportlich den größten Reiz bietet. Für mich hätte es wirtschaftlich öfter Sinn gemacht, dort zu starten, wo ich easy gewinnen kann.

Ist mit 36 Jahren realistisch, noch von einem zweiten Hawaii-Sieg zu träumen?

Ich glaube fest daran, dass ich noch mal die Chance bekomme. Es ist ein schwieriges, aber realistisches Ziel. Ich habe im letzten Jahr gemerkt, dass ich mich in allen Disziplinen noch verbessern kann.

Sie haben für den Profisport ihr Physikstudium abgebrochen. Was kommt danach?

Ich will mir möglichst viele Chancen offen halten. Mit dem Level an Freiheit aus dem Profitriathlon wird es vermutlich schwierig, ein normales Angestelltenverhältnis einzugehen. An oberster Stelle würde stehen, meine Frau so zu unterstützen, dass sie sich noch einige berufliche Ziele erfüllen kann, nachdem sie die ganze Zeit für mich zurückgesteckt hat.

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