Bedroht, attackiert, verhöhnt

Auto der Cottbuser Stadtverordneten Barbara Domke (Grüne) angegriffen

Ab sofort nimmt der brandenburgische Verfassungsschutz unter der Nummer 0331 866 26 99 Hinweise auf extremistische Aktivitäten entgegen. Montags bis freitags von 9 bis 15 Uhr sind Mitarbeiter des Geheimdienstes auf diesem Wege erreichbar. Darüber informierte Innenminister Michael Stübgen (CDU) am Dienstag. »Mit dem Hinweistelefon kann der Verfassungsschutz seine Aufgaben noch besser wahrnehmen und schneller reagieren«, so Stübgen. »Seine Aufgabe besteht nicht nur darin, Informationen über extremistische Bestrebungen zu sammeln und auszuwerten. Er ist auch ein Frühwarnsystem und damit aktiver Partner der Zivilgesellschaft.« Umso wichtiger sei es daher, dass Bürger mit dem Verfassungsschutz »direkt, unbürokratisch, einfach und vertraulich« in Kontakt treten können. »Gemeinsam sind wir gegen Extremisten erfolgreicher und schützen unsere Gesellschaft noch besser vor den Feinden der Demokratie.«

Zahl rechter Aktivitäten steigt sprunghaft
  • Im zweiten Quartal 2020 verzeichnete die Polizei in Brandenburg 43 rechte und rassistische Aktivitäten wie Mahnwachen und Kundgebungen. Das antwortete Innenminister Michael Stübgen (CDU) auf eine Anfrage der Landtagsabgeordneten Andrea Johlige (Linke). Nach sechs Aktivitäten im ersten Quartal sei nun fast schon das Niveau des gesamten Vorjahres erreicht, analysierte Johlige. 2019 wurden 55 Aktivitäten gezählt.
  • Allein 17 der Aktivitäten im zweiten Quartal 2020 gehen auf das Konto des Freien Bürgerforums Luckenwalde, das in der Stadt Abendspaziergänge organisierte. Die Polizei reiht sie ein in eine Liste mit Veranstaltungen, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stattfanden und Bezüge zur rechten Szene hatten. Vier vergleichbare Aufzüge unter dem Motto »Wahrung der Grundrechte« hat es demnach in Jüterbog gegeben. Damit hat sich der Landkreis Teltow-Fläming in der Statistik der rechten Aktivitäten weit nach vorn geschoben.
  • Im Jahr 2020 wurden bundesweit 1451 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger gezählt. Im Jahr 2018 waren es 1256. af

Das Hinweistelefon ist ein Punkt des Maßnahmenplans gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität, den der Innenminister im Juni dem rot-schwarz-grünen Kabinett vorgestellt hatte, informierte Stübgens Ressort. Weitere Punkte seien beispielsweise ein Aussteigerprogramm, die verstärkte Verfolgung von Hasskriminalität im Internet, der konsequente Entzug von Waffen bei Extremisten und ein verbesserter Schutz kommunaler Mandatsträger.

In welcher Gefahr bestimmte Bürgermeister, Kreistagsabgeordnete oder auch Gemeindevertreter schweben, zeigte sich wieder einmal am Montagnachmittag. Da wurde bekannt, dass Unbekannte die Scheiben des Autos der Cottbuser Stadtverordneten Barbara Domke (Grüne) eingeschlagen und die Reifen zerstochen hatten. Wie die Polizeidirektion Süd meldete, hatte eine Nachbarin die Autobesitzerin am Sonntag kurz vor Mitternacht darüber informiert, dass ihr in der Schopenhauerstraße abgestellter Pkw der Marke VW beschädigt ist.

Die 41-Jährige Kommunalpolitikerin Domke ist als Sozialarbeiterin in einem Asylheim tätig, engagiert sich außerdem für den Klimaschutz. Theoretisch könnte die Attacke auch mit dem für 2038 geplanten Braunkohleausstieg zu tun haben, der in der Lausitz wegen der Jobs in den Tagebauen und Kraftwerken umstritten ist. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen. Domke selbst vermutet jedoch, dass Neonazis hinter dem Anschlag stecken. »Ich habe da in letzter Zeit wohl in einige Wespennester gestochen. Rechte Strukturen haben sich in den letzten Jahren immer mehr in Cottbus verfestigt«, sagt sie. »Jetzt ist es umso wichtiger, den Kampf gegen Neonazis und die neuen Rechten zu intensivieren und noch aktiver fortzuführen!« Sie fragt besorgt: »Was kommt als nächstes?«

Die Landtagsabgeordnete Marlen Block (Linke) nennt den Vorfall »in höchstem Maße beunruhigend«, denn die komplette Demolierung des Fahrzeugs stelle einen direkten Angriff auf die Person dar. Block ist von Beruf Rechtsanwältin und hat eins ihrer Wahlkreisbüros in Cottbus. Barbara Domke, die sich für Flüchtlinge und gegen jede Form von Rechtsradikalismus engagiert, werde in Facebook-Gruppen seit Monaten immer wieder zur Zielscheibe und sei dort Beschimpfungen bis hin zu Bedrohungen ausgesetzt, sagt sie. Insgesamt sei die Zahl der Angriffe auf Politiker bedenklich gestiegen und überwiegend aus dem aus dem rechten Spektrum heraus verübt worden, erläutert Block. »Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass aus gedanklicher Verrohung und zunehmend gewaltvoller Sprache der Schritt zur schwerwiegenden Handlung folgt«, sagt sie mit Blick auf den aktuell laufenden Gerichtsprozess zum Mord am Kassler Politiker Walter Lübcke. Marlen Block fordert hier ein stärkeres Engagement, damit der Hass im Netz gar nicht erst auf die Straße kommt: »Wir müssen schneller und effektiver bei der Verfolgung von Hasskriminalität in der virtuellen und in der realen Welt werden und konsequent gegen jede Form von rechtslastigem Gedankengut, Rassismus und Diskreditierung von Menschen vorgehen.«
Beim Kurznachrichtendienst Twitter, wo Barbara Domke mit Fotos von den zerschlagenen Scheiben und von einem der zerstochenen Reifen über das Ausmaß der Zerstörung aufgeklärt hatte, erhielt die Stadtverordnete einerseits Solidaritätsbekundungen, andererseits wurde sie noch verhöhnt.

In der Vergangenheit hatten in Brandenburg mehrere offensichtlich politisch motivierte Attacken auf Fahrzeuge für Aufsehen gesorgt. An einem Wochenende im Herbst 2015 hatten in Neuhardenberg (Märkisch-Oderland) zwei Autos gebrannt, die Mitstreitern der örtlichen Willkommensinitiative gehörten. Im Februar 2016 wurde in Nauen (Havelland) das Auto von Thomas Lück und seiner Frau Susanne Schwanke-Lück angezündet. Er war Ortsvorsitzender der Linkspartei, sie war Kreisvorsitzende. Neonazis verübten in Nauen auch einen Anschlag auf das Fahrzeug eines Polen. Im März 2018 wurde der Bus des Jugendfördervereins Chance e.V. beschädigt, der Teilnehmer zu einer Frauentagsdemonstration nach Cottbus befördert hatte und wegen eines technischen Defekts an der Oberkirche liegen geblieben war. Es wurden Scheiben eingeschlagen und der Auspuff mit Bauschaum verklebt.

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