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Rheinsberg unter den Augen der Polizei
Seit gewaltvoller Auseinandersetzung von Deutschen und Polen mit Tschetschenen brodelt es in der Stadt
In Rheinsberg sind dieser Tage auf den Straßen viele Polizisten unterwegs. Als Linksfraktionschef Freke Over neulich mit seiner Tochter ein Restaurant besuchte, sah er während der Mahlzeit sechs- bis achtmal Streifen vorbeifahren. Auf dem Weg nach Hause beobachtete er dann noch eine Verkehrskontrolle. Seiner Einschätzung nach sind die vielen Beamten hier im Moment »extrem unterbeschäftigt« und suchen sich deshalb eine sinnvolle Betätigung.
Es ist jedoch kein Zufall, dass vorübergehend so ungewöhnlich viele Polizisten in Rheinsberg Dienst tun. Am 23. Juli gegen 19.30 Uhr hatten Zeugen berichtet, dass sich in der Mariefredstraße im Wohngebiet am Stadion etwa 15 bis 20 Personen miteinander schlagen. Deutsche und Polen waren »zunächst verbal, aber dann auch körperlich« mit einer Gruppe Tschetschenen »aneinander geraten«, heißt es in einer Polizeimeldung vom Tag darauf. Es seien mehrere Fahrzeuge beschädigt worden. Die Polizeiinspektion Ostprignitz-Ruppin konnte die Auseinandersetzung mit Hilfe von Bereitschaftspolizei und Kollegen aus Oberhavel beenden. Sogar ein Hubschrauber war im Einsatz. Fünf deutsche und drei polnische Männer wurden vorläufig festgenommen. Sieben Personen wurden verletzt, zwei mussten im Krankenhaus behandelt werden.
Am Abend des 24. Juli hatte die Polizei erneut zu tun. Sie stellte im Wohngebiet etwa 100 Personen fest, »die sich feindselig und aggressiv verhielten«, wie es in der Meldung heißt. Die Personalien von 51 Tschetschenen wurden aufgenommen und Platzverweise ausgesprochen. Am Rande des Einsatzes leisteten zwei junge Syrer Widerstand und verletzten einen Polizisten.
Am 25. Juli gab es dann ein Gespräch der Polizei mit Vertretern der an den Auseinandersetzungen beteiligten Gruppen unter Hinzuziehung eines Dolmetschers und eines Streitschlichters aus der Russischen Förderation. Es sei eine Einigung herbeigeführt worden, konnte die Polizei im Nachgang melden. Seitdem sei es in der Stadt ruhig und friedlich geblieben, bestätigte auf nd-Anfrage am Mittwoch die Polizeidirektion Nord. Näheres zu den Ursachen des Zusammenstoßes könne nicht mitgeteilt werden, da die Ermittlungen noch laufen und zahlreiche Zeugen befragt werden.
»Das Thema bewegt die Menschen aber weiterhin ganz massiv«, erklärt Linksfraktionschef Over. SPD und Linke dringen auf eine »offensichtlich notwendige« Sondersitzung der Stadtverordnetenversammlung. Es sei jedoch unklar, ob eine solche einberufen werde. Es ist mittlerweile eine Diskussion über den richtigen Weg zur Integration von Flüchtlingen und über das gesellschaftliche Klima in der Stadt entbrannt.
AfD-Vizelandeschefin Birgit Bessin empörte sich über eine Ankündigung von Landrat Ralf Reinhardt (SPD), nun die Wohnverhältnisse von Migranten prüfen zu wollen. Sie argwöhnte, Reinhardt wolle Flüchtlinge in Wohnungen statt in Flüchtlingsheimen unterbringen. »Das wäre unverantwortlich«, schimpfte sie. »Wer randaliert, wer Polizisten verprügelt, verdient sich kein Bienchen, der hat vielmehr unser Land sofort zu verlassen.«
Dass Deutsche und Polen festgenommen worden sind, blendete Bessin aus. Sie ereiferte sich stattdessen über Tschetschenen und Araber, die sich Straßenschlachten geliefert hätten. Sie berücksichtigte auch nicht, dass es in Rheinsberg gar keine klassischen Heime gibt. Am Stadion leben Flüchtlinge in Wohnungen neben Einheimischen, nur in einem Block in der Mariefredstraße sind Schutzsuchende konzentriert, haben aber auch dort Mieter als Nachbarn. Freke Over berichtet von positiven Beispielen der Integration syrischer Familien, in denen die Eltern Arbeit haben und die Kinder mit deutschen Schulkameraden befreundet sind. Dennoch gilt das Wohngebiet als sozialer Brennpunkt.
Bürgermeister Frank-Rudi Schwochow (Freie Wähler) schiebt die Verantwortung auf den Landkreis Ostprignitz-Ruppin und fordert eine Neuausrichtung seiner Flüchtlingspolitik. Die ist aus seiner Sicht in Rheinsberg gescheitert. Beim Landkreis zeigt man sich über die Aussagen des Bürgermeisters verwundert. So habe die Stadt Rheinsberg bisher keine Mittel von der im letzten Jahr durch den Landtag beschlossenen Integrationspauschale abgerufen. Der Stadt stünden für die Jahre 2019 und 2020 insgesamt 57 500 Euro für Integrationsarbeit zur Verfügung.
Am 28. Juli demonstrierten in Rheinsberg mehr als 100 Menschen für Toleranz und Weltoffenheit. Anlass war eine Kundgebung der neofaschistischen NPD, die die Ereignisse der Vortage für ihre rassistische Hetze missbrauchen wollte. Linksfraktionschef Over kritisiert das Verhalten des Bürgermeisters scharf. Während Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke und Landrat Ralf Reinhardt (beide SPD) sowie die Linke-Landesvorsitzende Anja Mayer bei der Veranstaltung das Wort ergriffen und für Weltoffenheit warben, verzichtete der Bürgermeister auf einen Redebeitrag. »Statt sich klar öffentlich zu positionieren und zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen, tigert der Bürgermeister im rosa Poloshirt zwischen den Nazis und der demokratischen Stadtgesellschaft hin und her«, rügt Freke Over.
Der Kreistagsabgeordnete Siegfried Wittkopf (Freie Wähler) hatte die Ereignisse in Rheinsberg mit den Worten kommentiert: »Viele Organisationen stehen bereit, um die Volksgruppe, die eigentlich hier gar nicht sein dürfte, toll zu integrieren.« Die Aufnahme von Flüchtlingen vor fünf Jahren wurde in dieser Erklärung der Freien Wähler als Gesetzesbruch bezeichnet. Diejenigen, die das unterstützten, seien »Untertanen eines undemokratischen, fast diktaturähnlichen Systems, wie in der ehemaligen DDR«.
Nach vorn schaut Christiane Schulz, Geschäftsführerin des Vereins Esta Ruppin. Der Verein ist mehrmals pro Woche mit Sozialarbeitern bei den Flüchtlingen in Rheinsberg. »Vielleicht sollte man sich einmal fragen, warum so etwas genau in Rheinsberg passiert«, sagt Schulz. Sie spricht von Konflikten auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Für viele Flüchtlinge sei die Lage prekär: »Die Wohnungen sind zu klein, sie haben keine Arbeit, keine Sprachkurse, und die Umgebung ist grundsätzlich schwierig.« Es sei an der Zeit, genaue Ursachenforschung zu betreiben.
Das sieht Freke Over genauso. Aus seiner Sicht müssen mehr Sozialarbeit und mehr verantwortliche Zivilgesellschaft die Antworten sein. »Eine unklare Haltung fördert das Problem«, mahnt er. Das politische Sommerloch fällt in Rheinsberg in diesem Jahr aus.
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