Erdrückende Beweislage gegen Álvaro Uribe

Als erster Ex-Präsident Kolumbiens sitzt der rechte Hardliner im Hausarrest und sieht sich Ermittlungen ausgesetzt

  • David Graaff, MedellÍn
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Neuigkeit erreichte Luz Elena Giraldo per Messenger-Nachricht. »Ich habe vor Freude geschrien«, erzählt sie dem »nd« zwei Tage, nachdem der Oberste Gerichtshof Kolumbiens entschieden hatte, den einflussreichen und der Verantwortung für schwere Menschenrechtsverbrechen verdächtigen Ex-Präsidenten Álvaro Uribe (2002-2010) in Untersuchungshaft zu nehmen. Für die Opfer staatlicher Verbrechen wie Giraldo, deren Ehemann Paramilitärs vor zwölf Jahren verschwinden ließen und dessen Leiche bis heute nicht gefunden wurde, ist der angeordnete Hausarrest für Uribe eine Genugtuung. »Ein historischer Tag, auf den wir lange gewartet haben«, sagt sie.

Die Maßnahme, Uribe im Zuge der Ermittlungen wegen mutmaßlicher Manipulation von Zeugen und Verfahrensbetrug in Vorbeugehaft zu nehmen, ist von großer Symbolkraft und politischer Tragweite. Der heutige Senatsabgeordnete und starke Mann der kolumbianischen Rechten prägt seit mehr als zwei Jahrzehnten die Politik des Landes. Begleitet wird die Karriere des 68-jährigen neoliberalen und populistisch-autoritären Politikers, dessen Aufstieg eng mit dem wachsenden Einfluss der regionalen Agrareliten und der Drogenmafia seit den 80er Jahren verbunden ist, seit jeher von Skandalen. Seine Verbindungen zu Drogenhandel, rechten Todesschwadronen, reaktionären Teilen des Militärs und seine Politik, die schwere Menschenrechtsverbrechen duldete und beförderte: All das füllt Regale von Büchern investigativer Journalisten und auch einige Justizakten. Nun droht Uribe für ein vergleichsweise geringeres Delikt - er soll über seine Anwälte Falschaussagen ehemaliger Paramilitärs erkauft haben, die ihn vom Vorwurf der Gründung einer paramilitärischen Gruppe freisprechen sollten - eine Haftstrafe von bis zu acht Jahren. Die Beweislage ist erdrückend.

Bislang waren Ermittlungen und Hinweise immer wieder an Uribe abgetropft wie an einer Teflon-Pfanne. Juristisch belangt werden konnte er dank politischer Einflussnahme, juristischer Volten und möglicherweise sogar Mord an Mitwissern nicht. Und politisch hatte es ihn bisher auch nicht aus der Bahn geworfen. Weil der besonders bei urbanen Mittelschichten wegen seiner Politik der »demokratischen Sicherheit« nach wie vor populäre Uribe ihn zum Kandidaten kürte und für ihn warb, brachte es der derzeitige Präsident Iván Duque vor zwei Jahren zum Staatsoberhaupt. In einer Videobotschaft zog Duque offen den richterlichen Beschluss in Zweifel. »Ich werde immer an die Unschuld und Ehrbarkeit derjenigen glauben, die sich durch ihr Beispiel einen Platz in der Geschichte Kolumbiens erobert haben«, sagte er.

Für Duque und die Mitglieder der von Uribe gegründeten und angeführten Regierungspartei Centro Democrático ist nur schwer zu ertragen, dass die Kommandanten der ehemaligen FARC-Guerilla wegen der im Friedensvertrag beschlossenen Sonderjustizregelung für ihre Verbrechen keine Haftstrafen absitzen müssen, während ihr Anführer, der die Sonderjustiz wie den gesamten Friedensprozess ablehnt, in den Hausarrest muss.

Duques Partei blies gleich zum Angriff auf die Justiz. Prominente »Uribistas« stellten die Unabhängigkeit der Richter infrage, bezeichneten deren Entscheidung als politisch motiviert und juristisch nicht haltbar und fordern nun eine Justizreform oder gleich die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung. Auch der größte Unternehmerverband des Landes, der mächtige Consejo Gremial, stellte sich hinter Uribe und kritisierte die Anordnung der Untersuchungshaft.

Es ist das erste Mal überhaupt in der Geschichte Kolumbiens, dass einem ehemaligen Präsidenten Freiheitsentzug auferlegt wird. Dass die Entscheidung der Richter ein schwerer Schlag nicht nur für den schwachen Präsidenten Duque, sondern auch für den gesamten »Uribismo« darstellt, darin sind sich kritische Beobachter einig. »Sollte es zu einer Verurteilung Uribes kommen, könnte der Uribismo in vier Jahren Geschichte sein«, sagt der Politanalyst Alejandro Mantilla dem »nd«. »Zugleich eröffnet die Schwäche der Rechten die Möglichkeit, dass 2022 eine Mitte-links-Regierung an die Macht kommt.« Luz Elena Giraldo hingegen hofft, dass die Verhaftung ein erster Schritt Richtung Aufklärung und Gerechtigkeit sein könnte: »Wir können nur hoffen, dass er alle von ihm begangenen Verbrechen zugibt und er akzeptiert, dass er es war, der uns alle unter Paramilitärs leben ließ.«

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