Die anderen Anderen

Neue Gesichter und alte Themen in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung

  • Wilfried Neiße, Potsdam
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Potsdamer Stadtverwaltung hat sich inzwischen daran gewöhnt. Das Rotationsprinzip bei der linksalternativen Fraktion »Die Andere« führt dazu, dass bei der Sitzung am 19. August sechs neue Volksvertreter in der Stadtverordnetenversammlung sitzen werden. Dieser jährliche Wechsel wird jetzt seit 25 Jahren praktiziert.

»Der Übergang ist das Schwerste, auch für die Verwaltung nicht einfach«, sagt Carsten Linke, der die Fraktion künftig im Hauptausschuss vertritt, den Kulturausschuss leiten wird und gemeinsam mit Anja Heigel die Doppelspitze der Fraktion bilden wird.

Priorität müsse aber behalten, dass möglichst viele Menschen sich in die Stadtpolitik einbringen können. Denn das sei gut und wichtig, unterstreicht der neue Stadtverordnete Christian Raschke, der zum ersten Mal im Parlament sitzen wird. Bei einer fünfjährigen Legislaturperiode und einer Fraktionsstärke von sechs Köpfen sind es 30 Potsdamer, die bis zur nächsten Kommunalwahl für »Die Andere« im Stadtparlament gesessen haben werden - jeweils für ein Jahr. In der politischen Arbeit will Fraktionschef Linke im Auge behalten, dass die freie Kunstszene besonders unter den Auswirkungen der Coronakrise leidet, »Menschen, denen es schon davor nicht besonders gut gegangen ist.« Von Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) sagt er, dass mit ihm immerhin eine Debatte über den Standort Rechenzentrum und den umstrittenen Wiederaufbau der Garnisonkirche möglich sei. Der einst geplante Abriss des Mercure-Hotels, des alten DDR-Interhotels, sei ausgesetzt, jetzt gelte es, den Abrissbeschluss ganz zurückzunehmen.

Als Mitglied im Gesundheits- und Sozialausschuss will Katharina Tietz streng darauf achten, dass im Schatten von Corona kein Abbau wichtiger sozialer Standards stattfindet. Renè Kulke war schon vor sechs Jahren einmal für »Die Andere« im Stadtparlament. Sein Ziel sind mehr Sportflächen für die Plattenbaugebiete Schlaatz und Waldstadt, wo er auch gewählt worden ist. Ihn stört massiv, dass die Anlage eines historischen Weges im Babelsberger Park die Verkleinerung des dortigen Strandbades um ein Fünftel bedeute. »Potsdam ist mehr als seine Mitte und Sanssouci«, betont er.

Im Ausschuss für Stadtentwicklung und Bauen nimmt sich Anja Heigel vor, die Neubebauung des Areals der abgerissenen Fachhochschule im Stadtzentrum kritisch zu begleiten und darauf hinzuwirken, dass möglichst viel sozialer Wohnungsbau dort stattfindet. Die Beteiligung von Potsdamer Wohnungsbaugenossenschaften und der Bau eines Studentenwohnheims seien immerhin vorgesehen. »Da darf dann aber nicht das Zimmer 500 Euro kosten.« Die Mietbindung für geförderten Wohnungsbau sollte Heigels Meinung nach von 15 Jahre auf mindestens 25 verlängert werden. Die Einwohnerzahl Potsdams sei inzwischen auf 181 000 angewachsen, es fehle bezahlbarer Wohnraum für Familien.

Um die räumliche Expansion der Stadt, die vor allem im Norden Richtung Fahrland und Krampnitz, aber auch Richtung Bornstädt und Kirchsteigfeld erfolgt, möchte sich Christian Kube kümmern. Das Rotationsprinzip hat ihm jetzt zum dritten Mal den Einzug ins Stadtparlament beschert. Aus seiner Sicht gibt es zwar gute Pläne für die Stadterweiterung. Es bestehe aber die Gefahr, dass sie hinsichtlich der sozialen Infrastruktur in den neuen Stadtteilen verändert oder verspätet umgesetzt werden. Es könne auch darauf hinauslaufen, dass unter den ersten 5000 neuen Wohnungen im Potsdamer Norden keine Sozialwohnungen sind.

Im Auge haben will die Fraktion den Volkspark, der im Zuge des Stadtwachstums nicht mehr am Rande liegt, sondern eine immer stärker verkleinerte innerstädtische Grünanlage werde. »Aber er ist der einzige Park, für den Eintritt gezahlt werden muss.« Die Zukunft der im Volkspark liegenden Biosphärenhalle ist laut Kube ein »großes Geheimnis«, gar ein »Mysterium«. Ein Thema bleibt auch der Stadtkanal. »Die Andere« will nicht den historischen Kanal, sondern eine moderne bewegliche Wasserzone in der Innenstadt, weil allein diese den angestrebten Kühleffekt hätte.

Carsten Linke hatte einst zusammen mit Urgestein Lutz Boede in der Wendezeit die Grüne Partei in Potsdam gegründet. Politische Differenzen führten zum Austritt und zur Bildung der »Kampagne gegen die Wehrpflicht«. Daraus ging die Wählergemeinschaft »Die Andere« hervor, die seit 1996 diesen Namen trägt. Sie ist inzwischen eine stabile Vereinigung links von der Linkspartei und damit etwas, dass es anderswo in Brandenburg in dieser Form und über so lange Zeit hinweg nicht gibt und nicht gegeben hat.

Im Potsdamer Stadtparlament zählt die SPD elf Köpfe, Grüne und Linke je zehn, CDU sieben, FDP drei. Ein Bürgerbündnis verfügt über zwei Mandate. Die AfD ist mit nur vier Mandaten vergleichsweise schwach vertreten. Auch das unterscheidet Potsdam von anderen Gegenden Brandenburgs.

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