Anwalt der Einwohner

Der Jurist und Sozialist Gerd Klier will Bürgermeister der Stadt Neuruppin werden

Gerd Klier ist Vorsitzender des Fachausschusses Sozialrecht der brandenburgischen Anwaltskammer. Als Rechtsanwalt hat er seit 1996 in arbeits- und sozialrechtlichen Fragen so manchem Bürger geholfen. Nun möchte er der Anwalt der gesamten Bevölkerung von Neuruppin werden. Am 8. November wird der hauptamtliche Bürgermeister der Stadt gewählt und Gerd Klier bewirbt sich als Kandidat der Linkspartei. Schon seit 17 Jahren sitzt er in der Stadtverordnetenversammlung. Am Montag stellte Klier sein Wahlprogramm vor, in dem er auf 15 Seiten zusammenfasst, wo aus seiner Sicht die Probleme liegen und wie er sie in den kommenden acht Jahren lösen will.

»Die politische Agenda des neugewählten Bürgermeisters steht in den Anfangsjahren gezwungenermaßen im Kontext der Corona-Pandemie«, steht gleich ganz vorn im Programm. »Wir müssen uns bewusst sein, dass es sich dabei um die größte Krise seit dem Wiederaufbau in den Nachkriegsjahren handelt.« Die Rede ist von schon zahlungsunfähigen oder zumindest vor der Insolvenz stehenden Geschäften und Betrieben und der damit verbundenen Arbeitslosigkeit sowievon sinkenden Gewerbesteuereinnahmen. Dem lauten Ruf nach Kürzung der Sozialausgaben muss nach Überzeugung von Klier jedoch konsequent entgegen getreten werden. Sozialabbau sei kein legitimes politisches Mittel - erst recht nicht, um eine derartige Krise zu bewältigen. Er möchte Neuruppin »gewissenhaft und solide« aus der misslichen Situation herausführen und plant beispielsweise die Einführung eines Bürgerhaushalts. Dabei könnten die Einwohner selbst entscheiden, wofür ein Teil der städtischen Mittel ausgegeben wird.

Der Kandidat hat sich für den Fall, dass die Wähler ihm ihr Vertrauen geben, einiges vorgenommen: freies WLAN und ein flächendeckendes Mobilfunknetz hätte er beispielsweise gern, weiterhin eine soziale Staffelung der Kitagebühren, solange das Land Brandenburg die Elternbeiträge nicht komplett abschafft. Schulen und Spielplätze sollen saniert werden, auch der Stadtgarten und das Jahnbad. Bezahlbare Wohnungen soll es geben und bezahlbares Bauland. Einen mobilen Bürgerservice nach dem Vorbild der Stadt Wittstock kann sich Klier vorstellen. Auch seine Kanzlei könnte Vorbild sein. Klier hat sie auf papierlosen Schriftverkehr umgestellt. »Sämtliche Korrespondenz mit Mandanten, Gerichten, Verwaltungen ist digital möglich«, berichtet er. »Diejenigen, die aus unterschiedlichen Gründen auf Papier bestehen, bekommen dies natürlich weiterhin. Die Digitalisierung darf nicht zum Ausschluss einzelner Bürger führen.«

Klier steht zum Energiekonzept 2030, welches vorsieht, dass in Neuruppin bis zum Jahr 2030 erreicht wird, dass nahezu CO2-neutral geheizt wird. Mit Solaranlagen auf brachliegenden alten Militärflächen könnte seiner Ansicht nach auch ein großer Sprung hin zu einer CO2-neutralen Stromversorgung geschafft werden.

Ausführlich äußert sich Gerd Klier zur AfD, ohne sie beim Namen zu nennen. Allen Parteien »sind ihre dortigen demokratischen Rechte gleichberechtigt zu gewähren«, hält er fest. Die Stadtverordneten hätten sich jedoch an das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zu halten. »Jede Herabwürdigung, Diskriminierung oder andere unzulässige Benachteiligung von Geschlechtern, Minderheiten, Andersdenkenden, Religionen und Nationalitäten ist konsequent zu unterbinden.« Der hohe Stimmenanteil für eine Partei, die mit Faschisten marschiert, sollte den übrigen Parteien »zu denken geben«, sagt Klier. »Nicht jedes Mitglied und nicht jeder Wähler einer solchen Partei ist ein Verfassungsfeind.« Es gebe viele Gründe, warum sie von den übrigen Parteien enttäuscht sind. Das könne aber seines Erachtens nicht rechtfertigen, »sich bewusst von einer Partei mit demokratiefeindlichen und nationalistischen Tendenzen vertreten zu lassen«.

Gerd Klier ist Jahrgang 1966. Er studierte von 1988 bis 1992 Jura an der Humboldt-Universität Berlin und absolvierte 1994 ein Ergänzungsstudium an der Universität Cambridge. 1995 arbeitet er für eine Anwaltskanzlei in der Schweiz, bevor er sich 1996 in Neuruppin selbstständig machte. Seit 2013 ist er Vorsitzender des Stadtparlaments.

Klier dankt Bürgermeister Jens-Peter Golde (Pro Ruppin) und dessen Vorgängern, die Neuruppin »zu einer der lebenswertesten Städte Brandenburgs entwickelt haben«. Dabei ist im Moment nicht klar, ob Golde am 8. November noch einmal antritt oder es nach zwei Wahlperioden im Alter von nunmehr 65 Jahren sein lässt. Die SPD nominierte ihren Fraktionschef Nico Ruhle. Die AfD hat angeblich auch jemanden nominiert, den Namen aber bisher nicht verraten. Als Einzelbewerber gemeldet haben sich Horst-Michael Arndt, Ex-Geschäftsführer der Ruppiner Kliniken, und Ronny Hein, Geschäftsführer eines Ingenieurbüros und einer Planungsgesellschaft.

Mit Gerd Klier habe die Linke »äußerst gute Voraussetzungen«, den Bürgermeister zu stellen, urteilt sein Wahlkampfchef Justin König. Dafür werde die Partei »mit vollem Einsatz und voller Kraft« streiten. »Wir investieren sehr viel Geld, eine fünfstellige Summe, und versprechen uns etwas davon.«

Ein Spaziergang wird es nicht. Mit 18,6 Prozent hatte die CDU in Neuruppin im Mai 2019 die Kommunalwahl gewonnen, gefolgt von der SPD mit 18,1 Prozent. Die Linke erhielt 15,9 Prozent, die Grünen 13,1, die Wählervereinigung Pro Ruppin von Bürgermeister Golde 12,8 (Freie Wähler 4,5 Prozent, FDP 2,3). Die AfD landete bei 10,9 Prozent - für Brandenburg ein mäßiges Ergebnis.

In wirtschaftlich schweren Zeiten, von 1993 bis 2004, stellten die Sozialisten schon einmal den Rathauschef. Es ist das Verdienst des damaligen Bürgermeisters Otto Theel, dass Neuruppin heute als eine der schönsten märkischen Städte gilt. Ein Makel kam erst nach seinem Abgang zum Vorschein. Einer seiner Söhne - kommunalpolitisch in der CDU aktiv - hatte als Betreiber der Neuruppiner Fahrgastschifffahrt Verluste gemacht. Um ihm aus der Patsche zu helfen, vermittelte ihm der Vater gegen Ende seiner Amtszeit ein Darlehen von 70 000 Euro. Dieses Darlehn gewährte ein Investor, der am Ufer des Ruppiner Sees ein Vier-Sterne-Hotel errichtete und dafür einen Kredit aufnahm. Die Stadt bürgte für 13,7 Millionen Euro. Das Landgericht Neuruppin legte Otto Theel die Sache 2008 als Vorteilsannahme im Amt aus und verurteilte ihn zu neun Monaten auf Bewährung und 3000 Euro Geldstrafe.

Die Bürgermeisterwahl 2005 verlief ereignisreich. Kerstin Kroll (Linke) schied damals mit nur 12,8 Prozent der Stimmen aus. Sie blieb weit unter den damaligen Möglichkeiten ihrer Partei, nachdem die »Bild«-Zeitung reichlich eine Woche vor dem Wahltermin enthüllte, Kroll habe beklemmend hohe Schulden, seit sie 1995 mit ihrem Geschäft »Möbelparadies« Pleite machte.

Als haushoher Favorit vor der Stichwahl galt der Bundestagsabgeordnete Ernst Bahr (SPD), der die Bürgermeisterwahl mit 49,8 Prozent beinahe schon im ersten Durchgang gewann. Nur 23 Stimmen fehlten ihm da zur absoluten Mehrheit. Die hätte er vielleicht gehabt ohne Jörg Nottle - ein CDU-Mitglied, das als Einzelbewerber antreten wollte. Seine Partei schickte keinen eigenen Kandidaten ins Rennen nach dem Aufsehen, das die XY-Bande erregt hatte, als deren Kopf der CDU-Kommunalpolitiker Olaf Kamrath 2005 vor Gericht gestellt wurde. Drogenhandel, Prostitution und illegales Glücksspiel lauteten die Vorwürfe. Nottle machte vor der Abstimmung noch einen Rückzieher. Aber es war zu spät. Sein Name stand auf den bereits gedruckten Wahlzetteln und konnte nicht mehr gestrichen werden. Knapp zwei Prozent der Wähler kreuzten ihn an. Nur so kam es zur Stichwahl. Dabei holte Jens-Peter Golde (Pro Ruppin) gewaltig auf und zog noch an Ernst Bahr vorbei. Golde genoss in der Stichwahl die Unterstützung der Linken, da er sich für eine friedliche Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide aussprach. Es war die Zeit, da die Bundeswehr die Heide noch verwenden wollte, um dort Tiefflüge der Luftwaffe und den Abwurf von Bomben zu trainieren.

Acht Jahre später gewann Golde die Stichwahl mit 60 zu 40 Prozent der Stimmen gegen Ronny Kretschmer (Linke), der inzwischen im Landtag sitzt. Kretschmer hatte den Wählern einige Dinge versprochen, die sich jetzt im Programm von Gerd Klier wiederfinden, so etwa einen Bürgerhaushalt. Gerd Klier wäre übrigens beinahe einmal als Abgeordneter in den Landtag nachgerückt. Es war in der Legislaturperiode 2009 bis 2014, in der es viel Aufregung um etliche Stasifälle in der Linksfraktion gab. Klier hatte sich nichts vorzuwerfen. Er leistete aber seinen Wehrdienst beim Wachregiment »Feliks Dzierzynski«, das Objekte des Ministeriums für Staatssicherheit bewachte. Daher bat ihn Die Linke, das Mandat nicht anzunehmen, und er verzichtete.

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