• Kultur
  • »Tales from the Loop«

Überreste, die sich verselbstständigen

Momentaufnahmen aus einem bizarren Alltag: Simon Stalenhags Bildroman »Tales from the Loop«

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.

Die 1980er Jahre sind nach wie vor eine scheinbar nie versiegende popkulturelle Fundgrube, aus der sich immer mehr Kreative des Science-Fiction-Genres bedienen. Die beiden erfolgreichen Netflix-Serien »Dark« und »Stranger Things« haben gerade wegen ihrer mitunter minuziösen Inszenierung der 80er Jahre ein so breites Publikum erreicht. Das Interesse und die Begeisterung für diese Serien mag durchaus auch damit zu tun haben, dass die Alterskohorte der geburtenstarken Jahrgänge der 1960er gerne Teenagergeschichten aus ihrer eigenen Vergangenheit sieht. Aber auch jüngere Semester konsumieren begeistert den 80er-Pop-Chic.

Die Macher von »Dark« und »Stranger Things« sind selbst jünger und haben dieses Jahrzehnt nur als Kleinkinder erlebt, also kaum eigene Erinnerungen verarbeitet. Ganz ähnlich ist es bei dem 1984 in Schweden geborenen Künstler Simon Stalenhag. Er hat seine beinahe fotorealistischen Bilder eines ländlichen Schweden, in dem Kinder und Jugendliche auf riesige futuristische Maschinen, Roboter und bizarre Kreaturen treffen, in den 80er Jahren angesiedelt. Zusammen mit kleinen literarischen Skizzen ergeben die rund 50 Bilder den illustrierten Roman »Tales from the Loop«. Erst Ende vergangenen Jahres erschien mit »The Electric State« ein Bildroman des Schweden, der von der Kritik überschwänglich gefeiert wurde. Es gibt bereits ein Science-Fiction-Rollenspiel, das auf dem nun auf Deutsch erschienenen »Tales from the Loop« beruht. Und mittlerweile ist sogar eine Fernsehserie dazu auf Amazon veröffentlicht worden, sicher auch, um »Dark« und »Stranger Things« bei Netflix Konkurrenz zu machen.

Eine ausgetüftelte Erzählung und eine tiefergehende Psychologie verschiedener Figuren bietet Stalenhags Bilderroman nicht, vielmehr einen Korpus an fantastischen Bildern und literarischen Skizzen, die wie Momentaufnahmen aus dem bizarren Alltag der ländlichen, westlich von Stockholm gelegenen Mälarinseln wirken, wo diese futuristische Welt angesiedelt ist. Aber das hinter seinen Bildern und kurzen literarischen Texten stehende World-Building, wie das in der Science-Fiction genannt wird, ist schlicht faszinierend: In der schwedischen Pampa der 60er Jahre wurde ein riesiger Teilchenbeschleuniger, der titelgebende Loop, gebaut. Mit der Hilfe eines sowjetischen Ingenieurs wurde die sogenannte Magnetrintechnologie entwickelt, mit der durch die Aktivierung magnetischer Kräfte riesige Fahrzeuge und Schiffe zum Schweben gebracht werden können. Die Gauss-Transporter sind gigantische Luftschiffe, die auf ihren internationalen Routen Waren und Energieressourcen transportieren. Es gibt ebeno mehrere Meter große Roboter, die man durch die schwedische Schneelandschaft stapfen sieht. Und zahlreiche industrielle Ruinen der Magnetrintechnologie bilden immer wieder den Hintergrund für Stalenhags Bilder, auf denen Kinder und Jugendliche zu sehen sind, die in dieser eigenwilligen Landschaft vor gigantischen Kühltürmen herumlaufen, spielen und ihre geheimnisvolle Umwelt erkunden. Daneben streifen Urzeitmonster, die durch einen vom Loop verursachten Dimensionen-Riss gekommen sein sollen, durch Wälder oder sind vor roten schwedischen Holzhäusern zu sehen, wie man sie sonst aus Filmen mit Pipi Langstrumpf kennt.

Bemerkenswert an Simon Stalenhags Bildern, die digital hergestellt sind, aber wie Öl- oder Acrylgemälde wirken, sind die Farben und die dadurch hervorgerufenen Lichteffekte. Die einzelnen Szenen leben davon, dass sie in warme, angenehme Helligkeit getaucht sind, etwa wenn ein Junge über ein Metallgerüst im See klettert und nach unten in die Tiefe des schlierigen, dunklen Wassers schaut, wo angeblich eine bedrohliche Kreatur haust. Oder gigantische Transportmaschinen schweben wie Ballons in einem düsteren nächtlichen Himmel, während unten auf dem Erdboden Menschen im faden Laternenlicht neben ihrem Auto auf einem Parkplatz stehen. Und riesige, in den Himmel ragende Metallkonstruktionen, die längst verlassen und nicht mehr in Betrieb zu sein scheinen, lassen an Andrej Tarkowskis Film »Stalker« denken, wo Menschen durch eine Zone mit liegen gebliebenen außerirdischen Artefakten irren.

Auch in »Tales from the Loop« gibt es geheimnisvolle Maschinen, Überreste einer in Abwicklung befindlichen Industrie, die sich verselbstständigt haben. So eine Kugel, die Menschen angeblich auf die andere Seite des Planeten teleportiert. Es gibt zweifelsfrei viel zu entdecken in »Tales from the Loop«. Im Herbst wird das Buch mit dem Bildroman »Things from the Flood« fortgesetzt, der von der weiteren Entwicklung dieses geheimnisvollen schwedischen Landstrichs in den 90er Jahren erzählt.

Simon Stalenhag: »Tales from the Loop«. Fischer, 128 S., geb., 35 €.

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