DDR-Sammlung für alle

Ein 34-Jähriger will den Staat, in dem er geboren wurde, weder verherrlichen noch verteufeln

Eine Terminuhr aus der Sammlung von Tobias Bank, gefertigt als Geschenk für Ehrengäste des Staatsakts zum 20. Jahrestag der Gründung der DDR
Eine Terminuhr aus der Sammlung von Tobias Bank, gefertigt als Geschenk für Ehrengäste des Staatsakts zum 20. Jahrestag der Gründung der DDR

Tobias Bank verfügt über eine umfangreiche DDR-Sammlung, die vor allem aus Münzen und Orden besteht, aber auch Plakate, Plastetüten und viele andere Stücke gehören dazu. So könnte er beispielsweise an jedem Tag des Jahres eine andere Armbanduhr aus DDR-Produktion anlegen. Der 34-Jährige, der in Elstal im Havelland lebt, bewahrt seine Sammlung in drei Depots an verschiedenen Orten in Brandenburg auf. »Die meisten Objekte haben einen hohen ideellen Wert, aber nur einen geringen materiellen«, erklärt Bank. Denn Menschen, die sich für solche Dinge interessieren und sie sammeln, gibt es zwar einige. Sie sind jedoch nicht vermögend und könnten keine hohen Preise bezahlen. Es gibt also keinen nennenswerten Markt dafür. Doch Bank hat aber gar nicht die Absicht, etwas zu verkaufen. Er gehört auch nicht zu jenen Sammlern, die sich im stillen Kämmerlein darüber freuen, was sie ergattern. Er möchte seine Sammlung zeigen und organisiert bereits seit 2008 immer wieder Ausstellungen.

»Ideal wäre eine Dauerausstellung, aber das wird nicht machbar sein«, bedauert Bank. Ihm geht es nicht wie dem Softwaremilliardär Hasso Plattner, der Teile seiner wertvollen Kunstsammlung im privaten Potsdamer Museum Barberini präsentieren kann. Da dies nun einmal so ist, hat Tobias Bank einen Katalog herausgebracht - den Katalog der theoretisch möglichen Dauerausstellung, die es praktisch vielleicht niemals geben wird.

144 Seiten dick ist dieser Katalog »Kabinettstücke. Exponate zur Geschichte der DDR«. Sandra Schröpfer hat ihn liebevoll gestaltet. Für jedes Jahr der Republik von 1949 bis 1989 gibt es mindestens eine Doppelseite. Jeweils rechts ist das Exponat abgebildet und links steht der erklärende Text dazu. Wo es sich anbietet, gibt es noch eine zweite Doppelseite mit weiteren Fotos und zusätzlichen historischen Hintergrundinformationen. Weil die DDR ohne ihre Vorgeschichte unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht denkbar ist, beginnt der Katalog bereits mit den Jahren 1945 bis 1948.

Er wolle die DDR weder verherrlichen noch verteufeln, betont der junge Mann, der dem Bundesvorstand der Linkspartei angehört. Er will »Lust auf Geschichte machen«. Und das gelingt ihm. Einige Objekte stechen an sich hervor, bei anderen ist es die Geschichte dahinter, die Aufmerksamkeit verdient. Letzteres gilt für ein Porträtfoto von Richard Hentsch aus dem Jahr 1947, dessen Holzrahmen mit einem handgeschnitzten SED-Logo versehen ist. Das ist an sich nicht spektakulär. Doch Hentsch gehörte zu jeden Angestellten der Gewerkschaft, die 1933 von den Faschisten die fristlose Kündigung erhielten und bald ins Konzentrationslager verschleppt wurden. Hentsch überlebte, beteiligte sich am Wiederaufbau der SPD und machte 1946 die Vereinigung mit der KPD zur Sozialistischen Einheitspartei mit - war deren Bezirksvorsitzender in Südwestsachsen. Aus dem Nachlass des Funktionärs erhielt Tobias Bank von dessen Ziehtochter nicht allein das gerahmte Porträtfoto, sondern auch Mütze und Brille, die Hentsch auf einem Familienfoto aus dem Jahr 1956 trägt.

Eine Rarität ist die unter dem Jahr 1969 abgebildete Terminuhr. Damals hatte Otfried Steger, Minister für Elektrotechnik von 1965 bis 1984, am Rande der Leipziger Frühjahrsmesse vier Betriebsdirektoren zusammengeholt. Es nahte der 20. Jahrestag der DDR, und Steger wünschte, dass ein Geschenk für Ehrengäste des Staatsaktes am 7. Oktober entwickelt wird - ein Geschenk, das die technologische Leistungsfähigkeit der Republik unter Beweis stellt. Gefertigt wurde die Terminuhr schließlich im Volkseigenen Betrieb Physikalisch-Technische Werkstätten. »Die zuverlässig laufende Uhr zeigt die Zeit digital mit Leuchtzahlen an«, steht im Katalog. »Wenn die vorher durch Tasten eingestellte Uhrzeit erreicht war, erklangen, vollelektronisch erzeugt, die Töne der Nationalhymne der DDR und es blinkten auf dem Lochstreifenmuster am unteren Rand fünf rote Lämpchen.«

Die Sammelleidenschaft packte den in Ostberlin geborenen Tobias Bank bereits, als er noch die Grundschule besuchte. Die Schule hatte einige Jahre nach der Wende den groß gedruckten Text eines Pionierlieds aussortiert, der ursprünglich dazu gedacht war, an der Tafel aufgehängt zu werden. Bank fischte das Teil aus dem Müll und schleppte es nach Hause. »Meine Eltern waren nicht begeistert«, erinnert er sich. »Sie ahnten, was noch kommen würde - und in unserer Plattenbauwohnung in Berlin-Mitte war dafür eigentlich kein Platz.« Später sortierte seine Mutter, die beim Sportclub Dynamo Berlin Leichtathletik trainiert hatte, ihre alte Sporttasche aus und stellte sie im Hausflur unter den Müllschlucker. Kaum war sie aus dem Haus gegangen, huschte der kleine Tobias aus der Wohnung und holte sich das Stück. »Heute freut sich meine Mutter, glaube ich, dass ich diese Tasche aufbewahrt habe.«

Im Katalog präsentiert wird auch eine Mütze der Volksmarinedivision von 1918, nachgemacht für einen Appell, zu dem in Berlin am 19. Oktober 1968 rund 150 000 Menschen kamen, um den 50. Jahrestag der Novemberrevolution zu begehen. Gezeigt wird weiterhin ein Schachtisch für den Vizevorsitzenden des Ministerrats, Paul Scholz, mit Intarsien, die das Elektrochemische Kombinat Bitterfeld, die Burg Giebichenstein, einen Tagebau im mitteldeutschen Revier und das Hydrierwerk Zeitz abbilden. Ein kleines Fähnchen wäre noch zu erwähnen. Es befand sich einst am Schellenbaum des Orchesters des Wachregiments des Ministeriums für Staatssicherheit.

Bank spart Kriegsspielzeug nicht aus, zeigt das Modell eines NVA-Mannschaftswagens mit sechs Soldaten und angehängter Gulaschkanone - einer Armee, die nie Krieg führte. Der 34-Jährige erläutert, dass sich die DDR einerseits als Friedensstaat sah und dies dem ehrlichen Empfinden vieler Bürger entsprochen habe, dass die Republik aber gleichwohl militärisch durchorganisiert war und Ende der 80er Jahre zwei Millionen Männer und Frauen militärisch oder paramilitärisch gebunden waren - in den Kampfgruppen der Betriebe beispielsweise. Bei 9,5 Millionen Erwerbstätigen bedeute dies eine sehr hohe Quote von eins zu fünf.

Der Katalog kann per E-Mail tobiasbank@gmx.de bestellt oder bald im nd-Shop erworben werden.

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