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Sturz-Flut in Nizza

Sorgen um die Gesundheit bei der Pandemie- und Sturzvorsorge bestimmen den Start der Frankreichrundfahrt

  • Tom Mustroph, Nizza
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Regenwolken, die sich über der Cote d’Azur ergossen, verwandelten den Asphalt in eine Art Eisbahn. Auf einer abschüssigen Passage der 156 Kilometer langen Auftaktetappe rings um Nizza sauste der kolumbianische Mitfavorit der Tour de France, Miguel Angel Lopez, mit blockiertem Hinterrad durch eine Kurve. Er wurde erst durch ein Verkehrsschild und einen dahinter wachsenden Busch aufgehalten. Ein halbe Stunde später knallte auf der Uferpromenade von Nizza ein noch heißerer Podiumskandidat, der Franzose Thibaut Pinot, auf die glitschige Fahrbahn und schaute sich mit düsterem Blick nach Rad und Teamgefährten um. Pinot hatte noch Glück. Er blieb weitgehend unverletzt. Der Sturz ereignete sich zudem innerhalb der letzten drei Kilometer. Daher wurde ihm die gleiche Zeit wie Etappensieger Alexander Kristoff gut geschrieben. Pinot und Lopez konnten weiterfahren.

Ausgeschieden ist hingegen John Degenkolb. Nach einem Sturz versuchte der Thüringer mit lädierten Knien zwar dem Peloton hinterherzujagen. Er kam aber erst nach Auslaufen des Zeitlimits an. »Ich hatte starke Schmerzen, in beiden Knien. Ich wollte nach der langen Vorbereitung auch nicht gleich am ersten Tag ausscheiden. Vielleicht habe ich deshalb zu viel gewollt. Aber es ging einfach nicht. Bei jedem Tritt in die Pedale hatte ich starke Schmerzen«, teilte er gefasst, aber natürlich auch enttäuscht mit.

Ein Interview mit dem früheren Etappensieger, ein Belagern seines Hotels durch Fernsehteams - all das gab es an diesem Samstag selbstverständlich nicht. Die Radsportler sind abgeschottet. In ihre Hotels dürfen nur die Betreuer. Journalisten bilden eine eigene Hygieneblase. Diese Bubbles dürfen sich immerhin nähern. Größte Annäherungszone sind Start- und Zielbereich. Dort sind aus Absperrgittern enge Boxen errichtet, in denen je ein Journalist oder ein Kamerateam Platz nehmen dürfen. Das Arrangement erinnert etwas an die Startboxen im Pferdesport - mit dem Unterschied freilich, dass dort Pferd und Jockey mit dem Startschuss losgelassen werden. Bei der Tour de France sorgt eine doppelte Gitterbarriere dafür, dass die Reporter nicht in die Wettkampfzone kommen können und mindestens anderthalb Meter Abstand zu den Athleten halten. Selfie-Sticks werden somit zum alltäglichen Arbeitsinstrument. Und wer ihn vergessen hat, muss einen ganz langen Arm machen, um ein paar Worte einzufangen.

Ein paar gewohnte Dinge gibt es aber doch bei dieser Tour. Ein Startdorf ist aufgebaut, allerdings nur für einen reduzierten Kreis von Akkreditierten. Einen Fanpark für 450 Besucher gibt es auch. Der Clou dort ist ein schwarzer Teppich, der mit Sensoren ausgestattet ist und die Anzahl der Smartphones auf ihm zählt. So habe man, versichert der Entwickler des Teppichs, Pierre Iceta, jederzeit den Überblick über die Anzahl der Smartphoneträger, und damit eine Ahnung über die Gesamtzahl der Besucher auf dem Areal. Die Pandemie ist auch ein Innovationstreiber für Überwachungstechnologie.

Sogar eine Werbekarawane gibt es. Die ist kürzer als in früheren Jahren. Wer auf ihr fährt, hat Masken auf - selbst wenn es von der Plattform auf manchen Trucks gut drei Meter bis Bodennähe sind. Aber Vorsicht regiert bei dieser Tour de France. Angesichts von 7379 Neuinfektionen am Vortag des Tourstarts ist Vorsicht auch angemessen.

Nachjustierungen gab es hingegen bei der Ausschlussregel. Legten Tourveranstalter ASO und Weltradsportverband UCI in ihren ersten Hygieneregeln noch fest, dass jeder Rennstall beim zweiten positiven Test die Tour verlassen muss, so gilt jetzt: Bei zwei positiven Fällen innerhalb von sieben Tagen muss das Team nach Hause. In Absprache mit den Gesundheitsbehörden wurde auch eine B-Probe vereinbart. »Man versucht, so schnell wie möglich einen zweiten Test zu machen«, erzählte Ralph Denk, Teamchef von Bora-hansgrohe, dem »nd«. Damit soll das Risiko von falsch positiven Tests minimiert werden, von denen einige den Rennstall Lotto-Soudal im Vorfeld der Tour betroffen hatten. Die Betreuer wurden danach allesamt negativ getestet.

Ausschließen lässt sich aber nicht, dass ganze Rennställe diese Tour de France wegen eines falsch positiven Tests verlassen müssen. Reicht die Zeit für den Nachtest vor dem nächsten Etappenstart nicht, ist der Fahrer oder sogar das ganze Team draußen.

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