Grenze dicht, Demokratie gerettet?

Warum eine Bertelsmann-Studie zur Demokratie nur auf den ersten Blick positive Ergebnisse liefert

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Warum die AfD in Meinungsumfragen schon länger keine Höhenflüge mehr erlebt, dafür liefert die Bertelsmann-Stiftung mit ihrem »Populismusbarometer 2020« einen weiteren Erklärungsansatz. Laut der repräsentativen Studie ist die Anfälligkeit der Bevölkerung in Deutschland für Populismus deutlich gesunken. Aktuell sollen nur noch 20 Prozent aller Wahlberechtigen populistisch eingestellt sein, im Jahr 2018 waren es noch 33 Prozent.

Ein Jahr vor der Bundestagswahl macht diese Erhebung Hoffnung, dass die Demokratie gefestigter ist, als es in Zeiten verschwörungsgläubiger Großdemonstrationen den Eindruck erwecken mag. Positiv festzuhalten ist: Es ist gut, dass immer weniger Menschen glauben, dass es so etwas wie den einen »Volkswillen« gibt und nur eine Minderheit die Aussage unterstützt, Politiker würden immer das Gegenteil davon tun, was die Bevölkerung will. Dies sind eindeutige Schlagworte und Erzählungen, mit denen insbesondere AfD oder Pegida hausieren gehen.

Politisch ist diese Entwicklung allerdings teuer erkauft: Als Grund für den Rückgang populistischer Einstellungen in der Bevölkerung zählt die Studie unter anderem die »restriktive Migrationspolitik« der Bundesregierung auf.

Was Bertelsmann und das Wissenschaftszentrum Berlin als eine »Trendwende im politischen Meinungsklima« bezeichnen, ist bei genauerer Betrachtung ein teilweise Übernahme der Forderungen jener (Rechts-)Populisten durch die sogenannte demokratische Mitte. Zwar brüllt diese aktuell tatsächlich nicht nach einem großem Führer oder stellt die parlamentarische Demokratie an sich infrage, tendiert in ihrer Entwicklung aber in Wahrheit dennoch nach rechts.

Die vielfachen Asylrechtsverschärfungen der letzten Jahre, die Abschottung an den europäischen Außengrenzen und der schmutzige Deal zwischen der EU und der Türkei, um Geflüchtete die Migration nach Europa zu verunmöglichen, ist Politik im Sinne der Rechten, die dadurch mitregiert, ohne selbst an der Regierung beteiligt zu sein. Das mag Kräfte wie die AfD bremsen, bedeutet aber gleichzeitig die schleichende Übernahme ihrer Positionen.

Darunter leiden müssen jene, die eben keine Stimme in Deutschland haben, schlicht oft auch aus dem Grund, weil ihnen das Leben hierzulande verwehrt wird. Grenze dicht, Demokratie gerettet? Das ist eine zynische Lösung, die mit progressiver Politik nichts gemein hat.

Dass es in der Studie mindestens unterschwellig aber genau darum geht, zeigt eine Handlungsempfehlung, die von den Autoren gemacht wird:

»Die öffentliche und mediale Auseinandersetzung mit dem Populismus hat sich verbessert. Weniger ausschließende Arroganz und kosmopolitische Überheblichkeit in dieser Auseinandersetzung würde ihre Wirkung noch verstärken.«

»Ausschließende Arroganz« und »kosmopolitische Überheblichkeit« erinnern sehr an Propagandabegriffe der politischen Rechten, die sich in einem angeblichen Kulturkampf gegen den »linken Mainstream« wähnt; aktuell wird dafür inflationär von Cancel Culture gesprochen. Auch hier geht es letztendlich um die Idee, den (Rechts-)Populismus zurückzudrängen, indem dessen Erzählung in einer weichen Fassung von der sogenannten Mitte übernommen wird. »Ausschließende Arroganz« ließe sich auch in die Forderung »Mit Rechten reden« übersetzen.

Hierin zeigt sich ein Denkfehler, was unter pluralistischer Demokratie zu verstehen ist. Diese heißt eben nicht, auf jene Kräfte zuzugehen, die Rechte von Minderheiten und Marginalisierten bescheiden wollen oder sie sogar komplett aus dem öffentlich Diskurs fernhalten möchten. Pluralismus ist genau das Gegenteil. Er muss jene stärken, die nicht gehört werden.

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