Gemächlich aber staufrei in die Potsdamer City

Der neue Stadtteil Krampnitz erhält frühstens 2028 einen Tram-Anschluss - die Linke testete jetzt den Wasserweg als mögliche Alternative

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 4 Min.

Was macht Potsdam eigentlich aus seiner wunderbaren Wasserlage? Viel zu wenig, meint Hans-Jürgen Scharfenberg, Mitglied der Linksfraktion in der Stadtverordnetenversammlung. Und er meint damit weniger das touristische Potenzial der Havelmetropole mit ihrer zum Welterbe zählenden Schlösser- und Gärtenlandschaft.

Die vorhandenen Wasserstraßen sollten stärker als Beitrag zur Lösung der vielfältigen Verkehrsprobleme der Landeshauptstadt in Betracht kommen, findet Scharfenberg. Und da Potsdam diesbezüglich gerade vor einer neuen, riesigen Herausforderung steht, will er die Probe aufs Exempel machen. Kurz entschlossen haben er und Ralf Jäckel, der stadtentwicklungspolitische Fraktionssprecher, sich am Mittwoch mit den beiden Geschäftsführern der Weißen Flotte Potsdam verabredet. Mit einem der bekannten gelben Wassertaxis des Unternehmens wollen sie ausprobieren, wie viel Zeit solch ein Gefährt auf dem Wasserweg vom Krampnitzsee im Norden Potsdams bis in die City benötigt.

Das Wassertaxi kann 60 bis 120 Personen und - abhängig davon - mehr oder weniger Fahrräder an Bord nehmen, erklärt Jan Lehmann, einer der Geschäftsführer. Zwei dieser Schiffe hat er in Potsdam im Einsatz - samstags und sonntags im Liniendienst mit 13 innerstädtischen Stationen zwischen dem Park Glienicke und dem Forsthaus Templin. Der Krampnitzsee zählt bislang nicht zu ihrem Revier. »Lass uns das doch erst mal testen, dann wissen wir, worüber wir reden«, sagt Scharfenberg.

Das Problem, um das es geht, reift in Krampnitz heran. In einem Zeitraum von bis zu 20 Jahren wird dort auf dem Gelände der ehemaligen, seit mehr als zweieinhalb Jahrzehnten leerstehenden Panzerkasernen ein völlig neuer Stadtteil aufgebaut. Auf einem Areal von 140 Hektar werden unter anderem Wohnungen für bis zu 10 000 Menschen entstehen. Seit 2019 laufen die Erschließungsarbeiten, mit den ersten Bewohnern ist 2021 zu rechnen. Nur, wie all die vielen Menschen von dem als »autoarm« beworbenen Wohn- und Arbeitsquartier aus eigentlich die verheißene Potsdam- und Berlin-Nähe für sich erschließen sollen, ist immer noch nicht durchdekliniert. Straßen wie die Bundesstraße B2 sind schon heute oft heillos verstopft. Die ursprünglich für 2025 versprochene Anbindung an die Straßenbahnlinie 96 und damit an die Potsdamer City lässt auf sich warten. Noch immer sind Route, Zeitplan und sogar Kosten und Nutzen in der Stadt umstritten - ein Online-Bürgerdialog läuft noch bis zum 20. September. Optimisten rechnen mit einer Inbetriebnahme nicht vor 2029.

Die Landeshauptstadt hat Wachstumsschmerzen - die Einwohnerzahl ist binnen fünf Jahren um rund 13 000 gewachsen. Die aktuell gut 180 000 Potsdamer sowie ihre Gäste haben regelmäßig mit chaotischen Verkehrsverhältnissen zu kämpfen. Die Stadtverwaltung will vor allem den motorisierten Durchgangsverkehr aus der Innenstadt verbannen und stärkt gezielt den Umweltverbund (Öffentlicher Personennahverkehr, Fahrrad und Fußgänger). Beim Thema Krampnitz scheint sie ratlos - so sehr, dass die Potsdamer CDU-Bundestagsabgeordnete Saskia Ludwig wiederholt eine Seilbahn ins Gespräch brachte. Scharfenberg und die Linke halten die vorhandenen Wasserstraßen für eine realistischere Alternative.

Je nach Route kommt man von Krampnitz zum Hauptbahnhof auf eine Entfernung von sieben bis zehn Kilometern. Mit dem Fahrrad kriegt man es etwas kürzer hin als mit dem Auto. Ein geübter Radler schafft das in 30 Minuten - doch ein Wohnquartier von der Größe einer Kleinstadt braucht Alternativen.

An Bord des Wassertaxis werden Wetten laut: Scharfenberg erwartet »weniger als 45 Minuten« für die Tour, sein Genosse Jäckel setzt kühn auf 38 Minuten. Geschäftsführer Lehmann hält mit 42 Minuten dagegen. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit schwankt zwischen zwölf Stundenkilometern auf dem Krampnitzsee, Tempo 16 vom Hasso-Plattner-Campus Jungfernsee bis zur Glienicker Brücke sowie neun in der innerstädtischen Neuen Fahrt an der Freundschaftsinsel. Am Ende liegen sie alle daneben, denn bis zum Anlegen gegenüber dem Hauptbahnhof vergehen gut 50, allerdings sehr entspannte Minuten.

»Das Schiff wird die Straßenbahn wohl nicht ersetzen, könnte aber eine sinnvolle Ergänzung sein«, so das Fazit des Flottenchefs. Die beiden Linke-Politiker stimmen zu. »Aber die Fahrt durch diese herrliche Landschaft entlang der Sehenswürdigkeiten zum Bahnhof ist ein Erlebnis«, schwärmt Scharfenberg. »Dazu kommt, dass die Wasserstraße nicht staugefährdet ist.« Kommentar Seite 9

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