Weniger Betten, mehr Vernetzung

In der Pandemie und vor dem Strukturwandel: Krankenhäuser ringen mit Kosten und Personalmangel

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Corona-Pandemie zeigte auch den Krankenhäusern hierzulande, wo ihre Defizite liegen. Das war jedenfalls der Ausgangspunkt der Diskussionen auf dem Krankenhausgipfel, der am Mittwoch in Berlin stattfand. Im Rückblick auf die letzten Monate zeigten sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, zunächst sehr einig. Vor allem im Vergleich mit anderen europäischen Ländern wie Frankreich und Italien fielen lobende Worte über das deutsche Gesundheitssystem leicht. Gaß hob hervor, dass in Deutschland keine Entscheidungen darüber getroffen werden mussten, welche lebensbedrohlich erkrankten Patienten behandelt werden könnten und welche nicht. Sogar schwer kranke CoronaPatienten aus Nachbarländern konnten erfolgreich versorgt werden.

Neu war für alle Beteiligten, wie schnell im Pandemiefall die Regelversorgung massiv nach unten gefahren werden konnte und wie gut es gelang, Beatumungs- und Intensivbetten neu einzurichten. Bislang mussten diese zwar kaum in Anspruch genommen werden, aber nicht deshalb sehen die Krankenhäuser ihre Bilanzen für dieses Jahr gefährdet. Wieweit das wegfallende Einnahmen unter dem Strich betrifft, ist noch nicht ganz klar, weil der Bund unter anderem Freihaltepauschalen zahlt. Unter dem Kostenaspekt bleiben jedoch die Anforderungen an den Infektionsschutz weiter erhöht - und die Behandlungszahlen aus den Vorjahren werden 2020 nicht wieder erreichbar sein, so Ökonom Gaß.

Probleme bei der Krankenhausfinanzierung gibt es aber nicht erst seit der CoronaPandemie. In 40 Prozent der Landkreise sei die Krankenhausversorgung in einer instabilen Situation, stellte kürzlich der Krankenhaus-Rating-Report fest, auf den auch Gaß verwies. Ähnliches fand auch der Bundesrechnungshof in einem neuen Bericht heraus, der von einer Insolvenzwelle bei den deutschen Kliniken warnt. Demnach verzeichnen 40 Prozent der Häuser Verluste, für ein Zehntel bestehe erhöhte Insolvenzgefahr. Der Rechnungshof kritisiert nicht nur die seit Jahren unzureichende Investitionsförderung der Länder, sondern auch das neu aufgelegte Krankenhauszukunftsgesetz. Weder die Höhe des Fonds mit drei Milliarden Euro Bundeszuschüssen noch der Zeitplan seien angemessen.

Möglicherweise erhoffen sich die Krankenhäuser eine Rettung aus der Misere, indem sie sich auf einen Strukturwandel einlassen. Bei den Erörterungen des DKG-Präsidenten spielte dieser eine sehr wichtige Rolle. Zunächst erteilte Gaß sogar der leistungsbezogenen Finanzierung eine Absage für die Zukunft. Andererseits solle auch nicht zum Selbstkostenprinzip zurückgekehrt werden. Das besagt in etwa, dass jedes Krankenhaus all das finanziert bekommt, was es zuvor aufgewendet hat. Die Grundversorgungskrankenhäuser sollten nicht immer mehr stationäre Fälle anstreben müssen, um überleben zu können. Gaß erhofft einen Kompromiss zwischen wirtschaftlichen Anreizen und dem Anspruch, die Daseinsvorsorge der Bevölkerung zu sichern. Einen »kalten« Strukturwandel will die DKG jedenfalls vermeiden - das wäre die vom Bundesrechnungshof angekündigte Insolvenzwelle. Der Spielraum reicht für die Kliniken hier von Umwandlung bis zum Abbau, aber aktiv mitwirken wollen sie an entsprechenden Entscheidungen schon. Offenbar auch inspiriert durch positive Kooperationserfahrungen in der Coronakrise soll dieses Prinzip auch in die Zeiten danach gerettet werden. Vorstellbar ist von Seiten der DKG eine Stärkung der ambulanten Versorgung, und zwar ausdrücklich mit den Krankenhäusern und nicht parallel zu den Angeboten der niedergelassenen Ärzte. Gaß stellt sich zum Beispiel hoch spezialisierte Ambulanzen und Tageskliniken an den Krankenhäusern vor. Darüber müssten die Länder entscheiden. Schon zuvor hatte der DKG-Vertreter in Medien von einer Reduzierung der Krankenhausbetten und weniger Standorten gesprochen. Die Entwicklung dorthin müsse »politisch verantwortlich anhand der bedarfsnotwendigen Fachdisziplinen und der Bevölkerungsdichte festgelegt werden«.

Die Strukturfrage nannte auch Spahn ein »echtes Anliegen«. Es brauche gute und vernetzte Versorgungsangebote. Es gehe nicht darum, dass jeder alles mache und neue Zentren finanziert würden, weil der Nachbarort auch eines habe. Auch gegen abstrakte Vorschläge dazu, wie viel Krankenhäuser verzichtbar wären, wandte sich Spahn. Es ginge darum, Schwerpunkte zu setzen und so die Qualität und Sicherheit für Patienten zu erhöhen. In diesem Zusammenhang erläuterte der CDU-Politiker auch, dass für ihn Mindestmengen an bestimmten Eingriffen weiterhin ein Qualitätsmaßstab seien. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Abteilungen, die eine untere Zahl von Operationen nicht erreichen, geschlossen werden müssen. Spahn räumte ein, dass es bei der Veränderung von Strukturen dann sehr emotionale werde, wenn vor Ort konkrete Entscheidungen zu treffen sind. Er plädierte dafür, hier Diskussionen über die Qualität und nicht über das Geld zu führen.

In Sachen Krankenhausfinanzierung ging es dann auch um die zukünftige Rolle der Behandlungspauschalen (DRGs). Dieses Abrechnungsinstrument hatte dazu geführt, dass sich vor allem private Kliniken, aber immer mehr auch andere Träger, auf besonders ertragreiche Eingriffe konzentrierten. An den Fallpauschalen wird seit einigen Jahren gerüttelt, die Kosten für das Pflegepersonal werden inzwischen wieder extra vergütet. Spahn verwies darauf, dass es inzwischen weitere Änderungen bei den DRGs gebe. Aktuell könnte die Kinder- und Jugendmedizin aus dem System herausgenommen werden. Die vollständige Umgestaltung der aus Spahns Sicht intransparenten Krankenhausfinanzierung sei aber - wegen der Corona-Pandemie - nicht mehr bis zur nächsten Bundestagswahl zu schaffen.

Nur geringen Raum in der Debatte der halbtägigen Veranstaltung nahm die Situation des Personals ein, insbesondere der Pflegekräfte. DKG-Präsident Gaß verwies auf laufende Gespräche mit der Gewerkschaft Verdi und dem Pflegerat, in denen ein Konzept für die Bedarfsmessung beim Pflegepersonal entwickelt werden soll. Es gäbe inzwischen Konzepte, wie das für Pädiatrie und Intensivmedizin funktionieren könne. Gaß zeigte sich optimistisch, dass mit der stufenweisen Anwendung im nächsten Jahr begonnen werden könne. Mit dieser Bedarfsmessung soll es Krankenhäusern ermöglicht werden, ihren Aufwand für eine gute Pflege abzubilden und vergütet zu bekommen.

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