Premier mit Knasterfahrung

Sadyr Schaparow ist neuer Regierungschef von Kirgistan

  • Othmara Glas, Almaty
  • Lesedauer: 3 Min.

Sadyr Schaparow ist an diesem Wochenende ein echter Coup gelungen. Das kirgisische Parlament wählte ihn am Samstag offiziell zum Premierminister. Sollte nun Präsident Sooronbaj Dscheenbekow zurücktreten, könnte Schaparow in wenigen Tagen gar das Staatsoberhaupt von Kirgistan werden.

Noch vor einer Woche hätte wohl kaum jemand für möglich gehalten, dass der 51-Jährige bald die Regierungsgeschäfte übernimmt. Da saß Schaparow nämlich noch im Gefängnis, nachdem er 2017 wegen Geiselnahme zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilt worden war. Dann kamen die Proteste gegen die Ergebnisse der Parlamentswahlen vom 4. Oktober. Demonstranten besetzten mehrere Regierungsgebäude in der Hauptstadt Bischkek und befreiten Schaparow.

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Kaum in Freiheit ernannte er sich noch am Dienstag zum neuen Premierminister Kirgistans. Seine Gegner schickten eigene Kandidaten für das Amt ins Rennen. Sie bezweifeln die Rechtmäßigkeit von Schaparows Wahl. Bei der Dringlichkeitssitzung des Parlaments waren am Samstag gerade einmal 51 der 120 Abgeordneten anwesend. Die Beschlussfähigkeit war nur dadurch gegeben, weil einige Abgeordnete ihre Stimme auf andere übertragen hatten.

Schaparow erklärte die Machtkämpfe der vergangenen Woche für beendet. Er wolle zunächst mit den bisherigen Regierungsmitgliedern weiterarbeiten, sagte er. Zugleich stellte er in Aussicht, bestimmte Posten künftig mit jungen Politikern zu besetzen. Außerdem verkündete er, dass er sich bereits mit Präsident Dscheenbekow getroffen habe, der sich seit Beginn der Krise an einem unbekannten Ort aufhält. »Wir haben vereinbart, dass er innerhalb von zwei bis drei Tagen ein Rücktrittsschreiben unterzeichnen wird«, so Schaparow.

Dscheenbekow hatte am Freitag seinen Rücktritt als Präsident angeboten, sobald sich die politische Lage in Kirgistan stabilisiere. Sollte er nun tatsächlich zurücktreten, würde eigentlich der Parlamentssprecher das Amt übernehmen. Der Posten ist jedoch im Moment vakant. Laut Verfassung wäre der Premierminister dann der nächste in der Reihe. Somit könnte Schaparow noch in dieser Woche Präsident werden. Theoretisch möglich wäre sogar, dass er gleichzeitig als Regierungschef und Staatsoberhaupt fungiert.

Nur wenige Stunden vor Schaparows Wahl wurde der ebenfalls in der vergangenen Woche aus der Haft befreite Ex-Präsident Almasbek Atambajew von Spezialeinheiten festgenommen. Ihm wird Unruhestiftung während der Proteste am vergangenen Freitag vorgeworfen, als Tausende Oppositionsanhänger in Bischkek sowohl gegen Präsident Dscheenbekow als auch gegen Schaparow protestierten. Dabei bewarfen Schaparows Anhänger die Demonstranten mit Flaschen und Steinen. Während Atambajew das Getümmel verließ, wurde auf sein Auto geschossen. Das frühere Staatsoberhaupt blieb unverletzt. Schaparow behauptet nun deshalb, dass der Schütze der Leibwächter des Ex-Präsidenten gewesen und alles nach einem Drehbuch verlaufen sei.

Um weitere Ausschreitungen zu verhindern, hatte der noch amtierende Präsident Dscheenbekow den Ausnahmezustand für Bischkek verhängt und den Einsatz der Armee befohlen. Seit Freitagabend ist die Hauptstadt abgeriegelt. Es gelten nächtliche Ausgangssperren; Proteste sind verboten.

Schaparow gilt als Nationalist, der nach der Tulpenrevolution 2005 in die Politik ging. Zuvor war er im Treibstoffsektor tätig. Zwei Mal wurde er ins Parlament gewählt. Außerdem leitete er unter dem 2010 gestürzten Präsidenten Kurmanbek Bakijew die Anti-Korruptionsbehörde. Einige Jahre später forderte er die Verstaatlichung der größten Goldmine des Landes, die bis heute von einem kanadischen Unternehmen betrieben wird. 2013 kam es deshalb in der Stadt Karakol zu Unruhen, während derer der Gouverneur des Gebiets von Schaparow und seinen Verbündeten als Geisel genommen wurde. Schaparow floh nach Kasachstan, kehrte aber 2017 nach Kirgistan zurück, wurde vor Gericht gestellt und zu elfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

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