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War doch gar nicht so schlimm
Wie Racial Profiling einem die Sprache verschlägt
»Das war es auch schon. Sehen Sie. War doch gar nicht so schlimm, oder?« Der Polizist gibt mir meinen Reisepass zurück. Er grinst dabei. Mir ist nicht zum Lachen zumute. Fast alle, die aus Griechenland einreisen, würden kontrolliert werden, sagt er. Ich schaue demonstrativ nach vorne und hinten. Die einzige Person, die von den vier Beamt*innen angehalten und auf Englisch gefragt wird, wohin es denn gehe, bin ich. Woher ich komme. Wo ich wohne. Was ich im Ausland gemacht habe. Dann ist meine Reisebegleitung dran. War doch gar nicht so schlimm.
Nur wenige Wochen ist diese Begegnung her. Was ich in solchen Situationen empfinde - Wut, Trauer oder Demütigung? -, weiß ich schon lange nicht mehr, denn ich habe dafür einen Automatismus entwickelt: Ich frage, wieso ich angehalten werde, was der Grund für die Kontrolle ist und ob auch andere kontrolliert werden. Nach der Kontrolle bleibe ich gerne in Sichtweite stehen und schaue, ob noch jemand angehalten wird. So auch an jenem Tag.
Ich werde von den Beamt*innen dabei beobachtet. Kurze Zeit später halten sie ein Pärchen an. Beide PoC, People of Color, also phänotypisch nichtweiße Deutsche. Dass sie, zumindest auf dem Papier, Deutsche sind, erkenne ich an ihren Reisepässen. Das war’s. Wir vier also. Die einzigen Nichtweißen aus dem Flieger. Nichts Neues. Eine weitere Kontrolle von zahlreichen. Es sind so viele. Und doch kann ich mich an fast alle erinnern. Selbst an die in meiner Kindheit. Die an der Grenze zu Dänemark, wenn mein Vater aussteigen musste und Schäferhunde unser Auto durchsuchten. Die am Hamburger Hauptbahnhof, wenn ich mit meinem Bruder unterwegs war. Die am Mannheimer Hauptbahnhof. Die am Berliner Bahnhof. Die an jedem Flughafen. Die vor unserer Haustür.
Und das sind nur diejenigen, die wir vor dem 11. September erlebten. Nach den terroristischen Anschlägen 2001 erreichte das Racial Profiling, also anlasslose Personenkontrollen ausschließlich aufgrund äußerer Merkmale, eine besondere Qualität. Mit der Rasterfahndung Anfang der 2000er kam der Generalverdacht. Die Logik: Alle Muslime und die, die so aussehen wie Muslime, sind Terroristen oder könnten welche sein. Wie dem auch sei, Polizeikontrollen sind angemessen. Sicher ist sicher.
Damit verloren viele ihre Stimme. Und obwohl wir wussten, was geschieht, fehlten uns die Worte. Schließlich ging es ja um Sicherheit. Doch wer schützt uns? Auf die Polizei können wir uns nicht verlassen. Dafür sind wir zu ausländisch. Zu migrantisch. Zu Schwarz. Zu arm. Wir besitzen nichts, was schützenswert wäre. Nicht einmal unser Leben. Das hat uns der NSU bewiesen. Und Halle. Und Hanau. Und der NSU 2.0.
»Wir sollten uns nicht beschweren. Nicht provozieren«, sagte meine Mutter. Sie war im London der 70er aufgewachsen. Rassistische Gewalt, ob von Skinheads oder der Polizei, kennt sie. Es ist 2006. Wir wollen zum Zug, der uns zu ihrer Schwester nach Kopenhagen bringen soll. Am Bahnhof sind uns schon Beamt*innen gefolgt. Sie schauen, in welchen Zug wir steigen, sichern die Ausgänge und gehen dann direkt auf meinen Bruder zu. Sie durchsuchen ihn. Es sitzen noch mindestens 15 andere Menschen im Wagen. Aber die Beamt*innen interessieren sich nur für meinen Bruder. Als meine Mutter nach der Kontrolle ihre Schwester anruft, um ihr flüsternd und mit zittriger Stimme auf Englisch zu erzählen, was gerade passiert ist, dreht sich die Person vor ihr um, verdreht die Augen, legt einen Finger auf den Mund und sagt: »Jetzt reicht’s aber. War doch gar nicht so schlimm.«
War doch gar nicht so schlimm. Und tatsächlich denke ich mir: Ja. War doch gar nicht so schlimm. Vielleicht hatten wir einfach nur Glück? Aber was ist mit Oury Jalloh? Oder Achidi John, Christy Schwundeck, Yaya Jabbi, Amad Ahmad oder Mohamed Idrissi und den über 160 Toten, die laut der Organisation Death in Custody, seit 1990 Opfer von institutionellem Rassismus wurden?
Das Problem ist: Die Menschen, die finden, wir sollten still sein, solange es nicht so schlimm ist, sagen auch dann nichts, wenn es dann schlimm wird. Solange aber Glück darüber entscheidet, ob mein Leben gefährdet wird oder nicht, ist der Sinn von Schutz verfehlt.
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