Rätseln um neue Mehrheiten
Malaysischer Regierungschef Muhyiddin ist in Bedrängnis, Oppositionsführer Anwar drängt beim König auf Machtwechsel
Die Corona-Pandemie ist derzeit nicht die einzige Krise, die Malaysia in Atem hält. Denn parallel kommt das Land auch innenpolitisch nicht zur Ruhe. Nur kurzzeitig schien es, als würde nach dem überraschenden Sturz des vormaligen Premierministers Mahathir Mohamad Ende Februar und der Installation einer neuen Koalition wieder Stabilität einkehren. Mittlerweile ist es mit dieser Fehleinschätzung vorbei. Hatte der noch amtierende Regierungschef Muhyiddin Yassin im Parlament bisher ohnehin nur eine hauchdünne Mehrheit von zwei Stimmen, so behauptet Oppositionsführer Anwar Ibrahim nachdrücklich, jetzt genügend Unterstützung zu haben, um seinerseits den politischen Chefposten reklamieren zu dürfen.
Nach mehrfachen Verzögerungen wurde ihm in der Vorwoche die erbetene Audienz beim König gewährt. Im Gespräch mit Herrscher Al-Sultan Abdullah habe er die Liste seiner Verbündeten vorgelegt, hieß es im Anschluss. Allerdings hätte Anwar nur Zahlen und keine Namen preisgeben. Der König selbst äußerte sich danach nur dergestalt, dass er alle Politiker zu Ernsthaftigkeit und Zurückhaltung aufforderte. Malaysische Medien zitierten Ahmad Fadil Shamsuddin, den Vorsteher des königlichen Haushaltes, mit der Aussage, der Herrscher sei »besorgt über das politische Klima«. Einige wollten in den Worten sogar eine Warnung an Anwar erkennen, zu großen Druck hinsichtlich einer zügigen Entscheidung Al-Sultans zu unterlassen.
In der Verweigerung des Monarchen, umgehend eine Sondersitzung des Parlaments anzuordnen, damit der Oppositionsführer die angeblich neuen Mehrheitsverhältnisse unter Beweis stellen kann, liegt der etwas hilflose Versuch, eine weitere Zuspitzung der faktischen Regierungskrise noch hinauszuzögern. Dabei hat diese sich längst entfaltet: Mögen zwar noch nicht alle Loyalitäten endgültig geklärt sein - was eine Erklärung dafür wäre, dass Anwar mit Namensnennungen zurückhält -, so scheint doch klar, dass Muhyiddin den Rückhalt seines wichtigsten Bündnispartners verloren hat. Zumindest Teile der jahrzehntelang dominierenden konservativen UMNO-Partei hätten dem Noch-Premier die Gefolgschaft aufgekündigt, hieß es bereits in mehreren Berichten einheimischer Medien. Was im Umkehrschluss nicht besagen muss, dass die UMNO-Abgeordneten auch für Anwar stimmen würden, der zuletzt über viele Jahre ihr erklärter Hauptgegner war.
Bei den Wahlen 2018 war es der geeinten vormaligen Opposition erstmals gelungen, in einem als historisch eingestuften Sieg die früheren Eliten abzulösen. Dass der bisherige Premier und UMNO-Chef Najib Razak sich mit einem millionenschweren Korruptionsskandal zusätzlich diskreditierte, trug zur Wechselstimmung bei. Die neue Administration regierte zunächst relativ zielstrebig und geräuschlos.
Im Februar war es nach lediglich 22 Monaten aber plötzlich vorbei - die Allianz aus Anwars Volksgerechtigkeitspartei (PKR), der säkular-liberalen Demokratischen Aktionspartei (DAP) und der UMNO-Abspaltung Bersatu unter dem als Übergangspremier wirkenden Polit-Fossil Mahathir Mohamad (94) zerbrach mit einer von Muhyiddin initiierten Spaltung der Bersatu, die schließlich sogar ihren Gründer ausschloss. Dafür wurde die 2018 auf die ungewohnten Oppositionsbänke beförderte UMNO in eine neue Koalition eingebunden, ebenso die Islamisten der PAS und einige wichtige Regionalparteien. Die aktuelle Lage in der politischen Neusortierung von Freund und Feind ist unübersichtlich. Mahathir will sich mit einem Misstrauensvotum gegen diesen unbedingt an Muhyiddin rächen, Anwar endlich den Top-Job erringen. Einige Veteranen der UMNO spekulieren schon darauf, vielleicht selbst interimsweise an die Regierungsspitze zu rücken - denkbar ist momentan vieles.
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