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Der Nachdenkliche

Wolf-Preis für Alexander Lang

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Eigentlich war und ist Alexander Lang ein Philosoph, also jemand, der, egal was er gerade unternimmt, nicht aufhört, über Sinn und Zweck seines Tuns nachzudenken. Dafür bekommt Alexander Lang nun den Konrad-Wolf-Preis der Akademie der Künste. In Konrad Wolfs »Solo Sunny« von 1980 ist er Ralph, der Philosoph mit dem Saxofon. So gerät er als Ersatzmann in jene Tanzkapelle, in der auch Sunny singt. So treffen sie aufeinander, Renate Krößner als Sunny, engagiert am Theater Brandenburg, und Alexander Lang vom Deutschen Theater (DT) in Berlin.

Wäre es ein Boxkampf (fast ist er das auch), müsste man sagen: Gleichstand nach Punkten. Krößner als Lebenshungrige, im ständigen Vorwärtsgang, den direkten Angriff bevorzugend und Lang, der Verteidigungskünstler, mit eleganten, leicht müden Ausweichbewegungen. Dieses Übermaß an Leben ist ihm unheimlich, ihm, der in seiner Hinterhofklause über den Tod nachdenkt, dieses Tabu in der Gesellschaft, das uns hindert, anders zu leben. Das Berufsbild Diplomphilosoph bekam mit Lang in der DDR erstmals ein Gesicht, das nicht nach Agitator aussah. Er ist ein Unzeitgemäßer mit seinen alten Büchern und Hemden. Ein halber Aussteiger gewiss, aber eben auch ein Einsteiger in etwas Neues, das er bereits im Kopf hat.

Lang tat, was er immer tat, egal ob auf der Bühne oder vor der Kamera (seltener, seine Filmrollen lassen sich an einer Hand abzählen), erst recht, wenn er Regie führte: Er dachte nach. So gründlich und in sich versunken, als hätte er alle Zeit der Welt. Dann, wenn man schon nicht mehr damit rechnete, ereignete es sich: ein urschreiartiger Ausbruch - und alle biedermeierliche Bedenklichkeit war wie weggefegt.

Der 1941 in Erfurt geborene Lang, seit Ende der 60er Jahre Ensemblemitglied des DT, debütierte 1977 als Regisseur mit einem furiosen »Philoktet« von Heiner Müller nach Sophokles. Wobei das falsch formuliert ist: Die Inszenierung war bereits gescheitert, mindestens ein Regisseur und ein Schauspieler hatten hingeworfen. Unspielbar! Diese großartige Inselparabel auf die Macht sollte niemals das Licht der Bühne erblicken? Also musste Lang übernehmen. Wer, wenn nicht er, der notorisch Nachdenkliche mit seiner explosiven Ausbruchsenergie?

Als Regisseur Robert Wilson aus Texas Lang, den er 2011 am Berliner Ensemble als Dr. Schöning in »Lulu« besetzte, das »Wilson-Theater« erklärte - formal, grotesk, auf bittere Weise clownesk -, da nickte er freundlich, denn eigentlich war das viel länger schon sein Theater. Wer wollte, konnte in seiner Schöning-Darstellung eine leise Ironisierung dieses von Wilson zum Markenzeichen erhobenen Guckkastenprinzips erblicken, das bei Lang Mittel der Theaterrevolution gewesen war. Diese Revolution hatte einen Namen und ein Datum. Danach war das deutschsprachige Theater (nicht nur der DDR!) ein anderes: Georg Büchners »Dantons Tod« 1981 am DT. Die Vivisektion der Revolution als sich selbst fressendes Ungeheuer. Christian Grashof in einer Doppelrolle als Danton und Robespierre, die beide auf dem Schafott enden. Mit einer Drehung nach rechts war er der Dandy Danton, mit einer nach links der fanatische Asket Robespierre.

Das brach mit jeder traditionellen Aufführungstradition, war intellektuell und sinnlich zugleich. Eine Feier der Heterogonie der Zwecke allen geschichtlichen Handelns in Umbruchzeiten: Die Akteure wollen das eine und erreichen das andere. Volker Pfüllers Bühne, seine Plakate, die Lang am DT begleiteten, forcierten die Puppenspielästhetik. Es herrscht blutiger Jahrmarkt. Es könnte Langs Regiestil geprägt haben, dass sein erster Beruf Plakatmaler war.

In den späten 80er Jahre fühlte sich Lang unterbeschäftigt, er durfte im Westen inszenieren - und kehrte in den 90er Jahren ans DT zurück. Doch erst am Gorki-Theater blühte er zugleich als Schauspieler und Regisseur wieder auf. In Hauptmanns »Vor Sonnenuntergang« von Volker Hesse etwa war er der alternde Großindustrielle Clausen, der um sein Lebensglück ringt. Da ist einer, der es nicht mehr zum Philosophen bringt und zerbricht. Langs letzte Regiearbeit am Gorki wurde dann 2006 nicht zufällig Kleists »Der zerbrochene Krug«. Ein Richter, der sich selbst verurteilen müsste, wäre er redlich. Aber dazu müsste Dorfrichter Adam ein Philosoph sein und kein Hanswurst in Richterrobe. Viele weitere prägende Inszenierungen auch der späten Jahre wären zu nennen - und immer sehe ich den Philosophen aus »Solo Sunny« am Werke, sein Saxofon unter dem Arm.

Konrad-Wolf-Preis für Alexander Lang. Preisverleihung am 29. Oktober, 19 Uhr in der Akademie der Künste am Hanseatenweg in Berlin.

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