Maximale Hoffnungen auf der Boeing-Chefetage

Der Unglücksflieger B737 Max darf demnächst wieder durchstarten, für viele Beschäftigte kommt das jedoch zu spät

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Minus 466 Millionen Dollar - das entspricht rund 394 Millionen Euro - betrug der Verlust bei Boeing im dritten Quartal. Analysten hatten mit deutlich schlechteren Zahlen gerechnet, schließlich standen im zweiten Quartal sogar verlorene 2,4 Milliarden Dollar in den Büchern. Das Vertrauen der Anleger schwindet. Seit Jahresbeginn ist Boeings Aktienkurs um mehr als 50 Prozent gesunken. Ein wesentlicher Grund für das Debakel heißt »B737 Max«. Der angebliche Superflieger, der sich als allzu todbringend erwies, brachte seinen Hersteller in arge Bedrängnis.

Nun aber keimt Hoffnung: Steve Dickson, Chef der US-Flugaufsichtsbehörde FAA, ist - nachdem er selbst eine der inzwischen nachgebesserten Max-Maschinen geflogen hat - sicher, dass der Typ schon bald wieder eine Zulassung für den kommerziellen Betrieb erhält. Auch die europäische Luftfahrtagentur Easa glaubt daran. Easa-Chef Patrick Ky behauptet nach ausgiebigen Tests, dass »der Flieger sicher ist«. Noch im November werde man die für eine Zulassung benötigten Dokumente veröffentlichen. Experten glauben dennoch nicht, dass der schwer angeschlagene Konzern damit rasch wieder an Höhe gewinnt.

Dabei schien die Maschine ein Verkaufsschlager für den Bereich der Kurz- und Mittelstreckenverbindungen zu werden. Geradezu euphorisch hoffte man, so den Dauerkonkurrenten Airbus in die Schranken weisen zu können. Alles lief gut an. Ende 2018 hatte Boeing bereits über 5000 Bestellungen aus allen Regionen der Welt notiert - und das, obwohl kurz zuvor eine 737 Max der indonesischen Lion Air abgestürzt war. Bei dem Unfall kamen 189 Menschen ums Leben. Leider blieb es nicht bei dem einen Absturz. Im März 2019 fiel eine weitere 737 Max vom Himmel. Keiner der 157 Insassen der Ethiopian-Airlines-Maschine überlebte.

Rasch war klar, dass man es mit einem Konstruktionsfehler zu tun hatte. Ein Flugverbot folgte, alle B737 Max mussten am Boden bleiben. Der Konzern arbeitete fieberhaft an einer Lösung. Doch nachdem auch noch Belege für leichtfertiges Verhalten gegenüber Warnungen ans Licht kamen, war das Vertrauen der Kunden weitgehend verspielt. Bis Juli 2020 sank die Anzahl der Bestellungen auf unter 3500. Hinzu kamen die »massiven Auswirkungen« der Coronakrise, die im Verkehrsflugzeuggeschäft zu Einbußen auf breiter Front geführt haben, erklärte Boeing-Chef Dave Calhoun. In einem Schreiben an die Belegschaft beteuerte er, man versuche die Verluste durch größere Anstrengungen in den Bereichen Rüstung und Raumfahrt zu verringern, doch ohne weitere Entlassungen werde es nicht gehen. Bis Ende 2021 soll die Mitarbeiterzahl auf rund 130 000 reduziert werden. Anfang des Jahres waren es noch 160 000 Beschäftigte.

Derzeit sitzt der Konzern auf Hunderten sogenannten White Tails. Das sind Flugzeuge, die fix und fertig gebaut wurden, jedoch keinen Kunden finden. Boeing versucht deshalb verstärkt US-Fluglinien mit unschlagbaren Angeboten zu locken. Besonders abgesehen hat man es auf Delta-Airlines. Die Fluggesellschaft aus Atlanta ist die einzige der großen Drei in den USA, die keine 737 Max bestellt, sondern auf Airbus gesetzt hat. Jedoch betreibt Delta derzeit noch über 70 Boeing 737-800 und die haben ein Durchschnittsalter von 19 Jahren. Viele Maschinen müssten also demnächst ohnehin ausgetauscht werden. So sich der Luftverkehr wieder erholt von den Pandemie-Pleiten.

Während man Delta Angebote unterbreitet, kommen schlechte Nachrichten von bereits umgarnten Max-Kunden. American Airlines strich jüngst 1900 Flüge aus den Kurz- und Mittelstrecken-Plänen allein zwischen Dezember und März. Man verhandelte daher mit Boeing über eine Streckung bereits bestehender Verträge. So sollen 18 von American Airlines bestellten 737-Max-Maschinen nicht wie geplant in den kommenden zwei Jahren, sondern erst ab 2023 ausgeliefert werden. Zugleich versucht man, eine Transparenzoffensive zu starten. Die Fluggesellschaft will Kunden die Möglichkeit geben, die Boeing 737 Max zu besichtigen. Piloten und Techniker sollen auf alle Fragen Antworten parat haben. An mehreren Standorten, beispielsweise an den Airports Dallas, New York La Guardia oder Miami, sollen Führungen angeboten werden. Für Kunden, die nicht in der Nähe wohnen, will man Videochats möglich machen, bei denen Experten Auskunft geben. Auch an der Spitze der dritten großen US-Airlines versucht man die Flucht nach vorne. So kündigte United an, ihre Passagiere extra darauf hinzuweisen, wenn sie mit einem 737-Max-Flieger abheben sollen. Ebenso wollen es andere Anbieter halten.

Unterdessen überrascht Konkurrent Airbus mit der Ankündigung, seine derzeit gedrosselte Produktion schon im kommenden Jahr wieder hochzufahren. Seit Anfang 2020 sammelte man für die A320-Neo-Familie neue Bestellungen für 290 Flugzeuge ein. Dem stehen nur 29 Stornierungen entgegen. Insgesamt verbuchte der europäische Flugzeugbauer bis Mitte des Jahres bei den Typen A319 Neo, A320 Neo und A321 Neo Bestellungen für 6065 Maschinen.

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