Hausfriedensbruch ohne Haus

Strafverfahren gegen Garnisonkirchen-Gegner eingestellt, weitere Verfahren anhängig

  • Wilfried Neisse, Potsdam
  • Lesedauer: 4 Min.
Kundgebung der Garnisonkirchen-Gegner am Freitag vor dem Potsdamer Amtsgericht
Kundgebung der Garnisonkirchen-Gegner am Freitag vor dem Potsdamer Amtsgericht

Ein fast dreijähriger juristischer Vorgang hat am Freitag vor dem Amtsgericht in Potsdam ein eher unspektakuläres Ende gefunden: Der erste Prozess wegen der Störung des Gottesdienstes zum Start des umstrittenen Wiederaufbaus der Potsdamer Garnisonkirche im Oktober 2017 wurde gegen Auflagen eingestellt. Der 35-jährige Angeklagte musste sich vor Gericht wegen Widerstands gegen einen Vollstreckungsbeamten und Körperverletzung verantworten. Konkret habe sich der Mann damals einer Identitätsfeststellung widersetzt und dabei einen Polizisten am Schienbein verletzt, so der Verwurf.

Der Richter verurteilte den Potsdamer nun zur Zahlung einer Geldbuße von jeweils 250 Euro an eine gemeinnützige Organisation und den betroffenen Polizisten, stellte das Verfahren aber ansonsten ein. Mitte 2021 soll gegen drei weitere Angeklagte verhandelt werden. Vor dem Amtsgericht in der Potsdamer Hegelallee protestierten gleichzeitig mehrere Dutzend Menschen gegen die Beschuldigungen und gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche.

Der Staatsanwalt warf am Freitag einen abschätzenden Blick auf die massige Statur des Polizisten im Zeugenstand. »Und Sie bleiben dabei, dass der Angeklagte Sie umgeworfen hat? Ich meine, rein körperlich...« Damit spielte er auf die offensichtlichen Unterschiede in den Gewichtsklassen der beiden Männer an, die vor drei Jahren körperlich aneinandergeraten waren. Einer der beiden Verteidiger des Angeklagten hatte offenbar schon im Vorfeld eine Begegnung mit dem Polizisten: »Sie haben mich großkotzig genannt. Vielen Dank.« Das waren die emotionalen Höhepunkte einer Verhandlung, die davon abgesehen eher ruhig verlaufen ist.

Eingangs hatte der Angeklagte eine ausführliche Erklärung verlesen, in der er den Protest gegen den Baustart als notwendigen Akt des zivilen Ungehorsams gegen diejenigen darstellte, die dem Willen der Bürger keine Bedeutung beimessen und die 1945 bei einem Bombenangriff ausgebrannte und 1968 gesprengte Kirche unbedingt wiedererrichten wollen. »Hier sollten andere auf der Anklagebank sitzen«, hieß es. Am Ende ging es nach 20-minütiger Verhandlungspause ganz schnell: Auf die Aussagen von vier weiteren Zeugen wurde verzichtet - und der Richter verkündete das Urteil.

Weniger gemächlich ging es vor dem Amtsgerichtsgebäude zu. Der Bundestagsabgeordnete Norbert Müller (Linke) beteiligte sich an der Kundgebung der Garnisonkirchen-Gegner. Er sprach von »läppischen Vorwürfen« und einer unbegreiflichen Verschleppung und Verzögerung des Verfahrens. Das sehe er als Mittel an, die Angeklagten zu verunsichern und »mürbe zu machen«. Sobald sich jemand nicht gleich freudig seiner Festnahme füge, müsse er mit Strafverfolgung rechnen, bemängelte Müller. Alles andere gelte als »Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte«.

Lutz Boede von der linksalternativen Wählergruppe »Die Andere« sagte, der Vorwurf der Störung eines Gottesdienstes bei der Veranstaltung vor über drei Jahren leuchte ihm nicht ein. »Wir als Fraktion haben damals eine Einladung zum Baustart bekommen - nicht zu einem Gottesdienst.«

Garnisonkirchen-Gegner Björn Rugenstein bezeichnete den umstrittenen Wiederaufbau des Hauses als Skandal und »gotteslästerlich«. Und das sage er als Christ, so Rugenstein. Mitstreiter Simon Wohlfahrt kritisierte, dass die wiederholten Geldzuschüsse des Bundes für den Bau rechtswidrig seien. Geld dürfe es laut Gesetz nur geben, wenn die Gesamtfinanzierung stehe. Das sei bei diesem Projekt bis heute nicht der Fall. »Kulturstaatsministerin Monika Grütters trampelt auf dem Minenfeld Garnisonkirche herum.«

Die Bürgerinitiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche, die Martin-Niemöller-Stiftung und der Verein zur Förderung antimilitaristischer Traditionen in der Stadt Potsdam kritisierten im Vorfeld der Verhandlung die »Kriminalisierung des legitimen Protests«.

Die Vorwürfe gegen die drei Garnisonkirchen-Gegner, die noch auf ihren Prozess warten, reichen von vorgeblichem Hausfriedensbruch über Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bis - auch hier wieder - zur Körperverletzung. Vor allem aber steht der Vorwurf der »Störung der Religionsausübung« im Fokus, der mutmaßlich von Mitgliedern der Stiftung Garnisonkirche Potsdam und der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche mit Hilfe eines massiven Polizeiaufgebots zur Anzeige gebracht wurde. Umstritten ist, ob von Hausfriedensbruch gesprochen werden kann, denn das »Haus« - die Kirche also - stand damals noch nicht. Und die Protestierer machen geltend, dass ihr Protest auf öffentlichem Grund und Boden stattgefunden habe.

Die Stadt Potsdam hat den Wiederaufbau der Kirche unterstützt, indem sie den wertvollen Baugrund in Innenstadtlage verschenkte. Seit 2013 belegt die Forderung »Kein städtisches Geld für die Garnisonkirche« im Rahmen der Abstimmung über den Potsdamer Bürgerhaushalt unangefochten den ersten Platz. Das Bürgerbegehren zur Auflösung der Garnisonkirchenstiftung wurde 2017 in damaliger Rekordzeit von dreieinhalb Monaten von rund 16 000 Personen unterzeichnet.

Umstritten ist der geplante Wiederaufbau der Kirche unter anderem deshalb, weil die Nazis dort am 21. März 1933 unter Ausschluss der kommunistischen Abgeordneten die Eröffnung des Reichstags zelebrierten. Die Abgeordneten der SPD waren dem »Tag von Potsdam« von sich aus ferngeblieben. Vor der Kirche schüttelte Adolf Hitler die Hand des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Dieser Moment steht symbolisch für die unheilige Allianz zwischen Faschismus und preußischen Militarismus.

Die Bürgerinitiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche ruft dazu auf, für die Begleichung eventueller Prozesskosten Geld zu spenden. Infos gibt es per E-Mail unter der Adresse info@ohne-garnisonkirche.de.

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