Begleitprozess in Trümmern

Bürgerinitiativen beklagen radioaktive Belastung der Bevölkerung durch Abfälle aus dem Atommülllager Asse

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.

Offiziell hat noch niemand an dem Beschluss gerüttelt: Das marode Atommülllager Asse im niedersächsischen Kreis Wolfenbüttel, so wurde es vor zehn Jahren versprochen, wird leergeräumt. Die radioaktiven Abfälle, die in den Tiefen des Bergwerks in verschlossenen Kammern vor sich hingammeln, sollen an die Oberfläche geholt werden. Denn die Grube ist instabil und droht voll Wasser zu laufen. Zurzeit treibt die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), Betreiber der Asse, den Bau eines Zwischenlagers für den zu bergenden Atommüll voran.

Vor kurzem wurde das europaweite Ausschreibungsverfahren für die Planung des künftigen Zwischenlagers gestartet. Das Lager sowie eine Konditionierungsanlage zur Verpackung der Abfälle sollen nur wenige Hundert Meter nördlich der Schachtanlage entstehen und 2033 betriebsbereit sein. Nach Ansicht der BGE können nur mit einem Standort nah der Asse unnötig lange Transportwege und damit eine stärkere Strahlenbelastung für Arbeiter und Bürger vermieden werden. Weiter entfernte Standorte wurden deshalb nicht geprüft. Das Bundesumweltministerium hat dieses Vorgehen ausdrücklich gebilligt.

Weil die BGE die seit Jahren in der Region erhobene Forderung nach einem Vergleich auch mit entfernteren Standorten ignoriert hat, ist die Asse-2-Begleitgruppe (A2B) in eine Art Streik getreten. Das Gremium, das die Schließung der der Lagerstätte kritisch begleiten soll und die Prüfung von mindestens zwei entfernteren Zwischenlagerstandorten verlangt, empfinde die Ausschreibung als »weitere Brüskierung«, so Landrätin Christiana Steinbrügge als Sprecherin der Begleitgruppe. Der Schaden eines solchen Vorgehens sei immens: »Die Glaubwürdigkeit von Beteiligungsprozessen, wie gerade auch bei der Endlagersuche für den hoch radioaktiven Abfall gefordert, wird erschüttert.«

Die Begleitgruppe will sich erst wieder am Findungsprozess beteiligen, wenn doch noch weiter entfernt liegende Standorte ernsthaft unter die Lupe genommen werden. Der Asse-Begleitprozess galt lange Zeit als vorbildlich für andere Atommüllprojekte, weil neben dem Betreiber und Behörden auch Umweltgruppen und Kommunalpolitiker in die Diskussionen eingebunden waren.

»Bei Asse-ferneren Standorten können größere Abstände zur Wohnbebauung von mehreren Kilometern und damit eine geringere Belastung der Bevölkerung umgesetzt werden«, argumentiert Asse-Widerständlerin Heike Wiegel vom Verein »AufpASSEn«. »Bei einem Asse-nahen Standort ist nur etwa ein Kilometer Abstand zur Wohnbebauung möglich.« Knapp anderthalb Kilometer vom Schacht Asse entfernt liegen die ersten Häuser des Ortes Remlingen.

Andreas Riekeberg vom Koordinationskreis unabhängiger Bürgerinitiativen sagte dem »nd«: »Nur die radioaktive Belastung bei Atommülltransporten zu betrachten, wie der Betreiber es macht, ist völlig unzureichend.« Die Bevölkerung werde viel mehr über die radioaktiven Ableitungen belastet, die an der Asse jetzt schon durch Radionuklide wie Tritium, radioaktiven Kohlenstoff oder Radon entstehen.

Den Koordinationskreis macht zudem das Tempo stutzig, das die BGE bei der Errichtung des neuen Atommüllkomplexes plötzlich an den Tag legt. Die Eile stehe »in frappierendem Gegensatz zur Langsamkeit bei der Rückholung des Atommülls aus dem maroden Salzbergwerk«, sagt Riekeberg. Mehr als zehn Jahre nach dem Beschluss zur Rückholung der Fässer gebe es noch immer keinen Masterplan dafür, noch immer keine Bergetechnik und keinen neuen Schacht, der für Bergung des Abfalls notwendig sei.

Nur das Zwischenlager mit Atommüllfabrik werde vorangetrieben. Das bestärke die Bürgerinitiativen in dem Verdacht, dass dieses Zwischenlager gar nicht für die Fässer aus der Asse II gedacht sei - »sondern für den Atommüll aus der gesamten Republik, der nach dem Willen der Bundesregierung in Schacht Konrad eingelagert werden soll«.

Der nur 25 Kilometer Luftlinie von der Asse entfernte Schacht Konrad wird derzeit von der BGE zum Bundesendlager für schwach und mittelradioaktiven Atommüll umgerüstet. Vor ihrer Einlagerung sollen die Abfälle in einem Zwischenlager gesammelt werden. Als Standort dafür ist zwar bislang das Gelände des stillgelegten AKW Würgassen vorgesehen. Weil es dort heftigen Widerstand gibt, könnte dieser Plan aber noch kippen.

Tatsächlich hat die Bergung der Abfälle aus der Asse noch nicht begonnen. Immerhin hatte die BGE im Frühjahr erstmals den möglichen Ablauf der Rückholung skizziert, wenn auch nur vage. Der erste Schritt wird demnach der Bau und die Inbetriebnahme eines neuen Schachtes bis zum Jahr 2028 sein. Bislang führen nur Schacht II und ein kleiner Notschacht, der Schacht IV, nach unten ins Bergwerk. Um die teils wohl geborstenen und verrosteten Fässer nach oben zu schaffen, soll ein neuer, der Schacht V, ins Gestein getrieben und mit dem bestehenden Bergwerk verbunden werden. Der Bau soll im Jahr 2023 beginnen. Die eigentliche Rückholung der Fässer könnte der BGE zufolge 2033 starten.

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