Der Traum vom Wandel, der im Alptraum Trump endete

Präsidentschaftserinnerungen von Barack Obama - einem US-amerikanischen Sisyphos?

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 6 Min.

Einen »Moment großer Ehrlosigkeit« und »Schande für unsere Nation« nannte der ehemalige US-Präsident Barack Obama den Sturm auf das Kapitol in Washington am vergangenen Mittwoch. Ohne den Namen Donald Trump zu nennen, machte er diesen für die Eskalation der Gewalt, die vier Todesopfer forderte, verantwortlich und betonte: »Wir würden uns aber etwas vormachen, wenn wir es als totale Überraschung behandeln würden.« In seinen zu Jahresende, in der Wahlkampfendentscheidung in den USA, auch auf Deutsch erschienenen Memoiren hingegen übt Obama namentliche Kritik an seinem Nachfolger im Amt. Doch von Anfang an.

Bekanntlich schrieb George Orwell dereinst, einer Autobiografie sei nur dann zu trauen, wenn sie auch etwas Beschämendes über ihren Verfasser offenbare. Diese Hürde hat Obama genommen. Der erste Band seiner Erinnerungen, der seinen unglaublichen Weg ins Weiße Haus und seine erste Amtszeit nachzeichnet, ist sicher mit über tausend Seiten zu lang geraten, aber Zweifel und Selbstkritik kommen darin nicht zu kurz. Die Erinnerungen, deren Stärke unter anderem darin besteht, dass sie ein Fenster in die Gedanken des ersten afroamerikanischen Präsidenten der USA und eines Mannes von Geist und Stil öffnen, haben die ewige Kluft zwischen Hoffen/Wagen und Versäumnis/Versagen zum Leitfaden.

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Die Memoiren sind frei von Überfliegergeräuschen, nicht jedoch von gelegentlicher Sorge, auf verlorenem Posten zu stehen. »Manchmal kam ich mir vor wie der Fischer in Hemingways ›Der alte Mann und das Meer‹, denn während ich versuchte, meinen Fang an Land zu ziehen, nagten schon die Haie daran«, heißt es im Schlussviertel bei einem Obama, den man sich mehrfach als Barack Sisyphos Obama vorstellen kann. Doch richtig bleibt auch, dass im letzten halben Jahrhundert kaum ein aufsteigender Politstern so viel Hoffnung verbreitet hat wie der spätere 44. US-Präsident. Und auch an seinem Beispiel fällt auf, dass solch Licht nie heller strahlt, als wenn es sich mit der Hoffnung auf Veränderung verbindet. Darin ähnelte der Politikneuling Obama dem frühen Gorbatschow. Dessen Verheißung von Perestroika und Glasnost war in der scheintoten Sowjetunion das, was Obamas Hoffnung auf Wandel für ein von stürzenden Banken, schrumpfendem Wohlstand und lähmenden Kriegen traumatisiertes Amerika bedeutete.

Die Begeisterung für den jungen Kandidaten aus Chicago war enorm, nicht nur unter Schwarzen und nicht nur in den Metropolen an der Ost- und Westküste. Seinen ersten Triumph feierten er und seine Graswurzelbewegung im landwirtschaftlichen Herz, im Schweinemaststaat Iowa. Zwei Dinge elektrisierten seine Bewerbung: die von ihm entfachte Aussicht, »eine neue Art von Politik anzustoßen, eine neue Generation dazu zu bewegen, mitzumachen«. Und sein Talent, Menschen anzuregen. Eine seltene Gabe. Senator »Teddy« Kennedy war einer derer, die dem jungen Obama den Zweifel nahmen, zu früh für die Präsidentschaft anzutreten. »Sie denken«, zitiert er den verstorbenen Demokraten aus einem Gespräch, »dass Sie vielleicht noch nicht so weit sind, dass ein günstigerer Zeitpunkt kommen wird. Aber man kann sich den Zeitpunkt nicht aussuchen. Der Zeitpunkt sucht uns aus.«

Obama blieb skeptisch, war sich aber in einem sicher: Sollte er es schaffen, werde die Welt die Vereinigten Staaten mit anderen Augen betrachten. Auch die jungen Leute daheim, vor allem die schwarzen, spanischstämmigen würden neue Chancen haben. Das allein, fand der Autobiograf, »wäre es wert«. Diese Überzeugung auch ließ ihn seine Erinnerungen mit »Ein verheißenes Land« überschreiben. Kein Titel, der die Gewissheit des Gelobten Landes feiert, sondern die Chancen betont, die Obama seinem Mutterland zuschreibt. Darin zeigt sich der ganze Obama: der Träumer, der genau weiß, dass die Ideale seiner Nation schon immer bestenfalls an zweiter Stelle standen, »hinter Eroberung und Unterdrückung, einem rassistischen Kastensystem und Raubtierkapitalismus«. Und der dennoch »noch nicht bereit« sei, die Möglichkeit von Amerika aufzugeben, »die einzige Großmacht der Geschichte, die von Menschen aus allen Winkeln der Erde aufgebaut wurde und in der jede Hautfarbe, jeder Glaube und jede Lebensart vertreten ist«. Der ganze Obama - weil jeder, der will, solch Zuversicht auch naiv nennen kann. Obama würde das verstehen. Er erlebte, dass die Präsidentschaft wie ein Neuwagen ist: »Der Wertverlust beginnt in dem Moment, wenn man ihn vom Hof des Händlers fährt.«

Beulen und Wertverluste gab es nicht zu knapp. Obama trat sein Amt nach Ausbruch einer globalen Finanzkrise an, die ihren Anfang in den USA hatte. In einem politischen Abnutzungskrieg setzte er ein Krankenversicherungsprogramm für Millionen Amerikaner durch, die bis dahin »nur eine Erkrankung oder einen Unfall vom finanziellen Ruin entfernt« waren. Obamacare stammt aus der ersten Hälfte seiner ersten Amtszeit - es wurde sein letzter Gesetzgebungssieg für ein gesamtgesellschaftliches Anliegen. Er rief zur langfristigen, weltweiten Ächtung aller Nuklearwaffen auf und stand vor dem Hintergrund einer Neubelebung des Kalten Krieges, an der sich freilich mehrere Seiten beteiligten, einer Modernisierung des Kernwaffenarsenals vor. Seine Bemühungen für eine amerikanische Antwort auf den Klimawandel wurden von inneren wie äußeren Widerständen behindert, sein Versprechen zur schrittweisen Beendigung der Kampfeinsätze in Irak und Afghanistan kamen, wenn überhaupt, nur nach jähen Wendungen zum Tragen. 2011 befahl er das Kommandounternehmen zur Tötung Osama bin Ladens, dem Drahtzieher des Terrors von Nine-Eleven. Sein Buch, das sich am ersten Tag in den USA 890 000 mal verkaufte, unterschlägt diese Wegmarken nicht, und eher mehr als zu wenig reflektiert es die Für und Wider vieler Entscheidungen und Unterlassungen.

Ebenso wenig blendet es Obamas oft betonte und schnell enttäuschte Hoffnung aus, das eingefahrene Parteiengezänk in Washington wenigstens zu begrenzen. Selbst in Situationen, da er und die Demokraten auf die Unterstützung der Republikaner gar nicht angewiesen sind, streckt er der Gegenseite die Hand aus. Die Antwort ist ausnahmslos Ablehnung, zunehmend von Demütigung und kaum kaschiertem Rassismus durchzogen. Obama sieht darin eine Vorwegnahme des Trumpismus. Sarah Palin, Vizepräsidentschaftskandidatin seines Gegners John McCain, und die Äußerungen der rechten Tea-Party-Leute wirken mit ihren Auftritten heute wie ein Trump-Vorprogramm. Kurz vor Obamas Wahl 2008 heißen ihn die einen Muslim, andere einen Gottlosen, Dritte einen Nazi und die meisten »einen Sozialisten«. Vom Podium aus blafft Palin, Obama treibe »sich mit Terroristen herum, die ihr eigenes Land angreifen würden«, woraufhin es im Publikum tönt »Terrorist!«, »Kopf ab!«, »Bringt ihn um!«. Obama, der sich einen »Reformer mit konservativem Naturell« nennt, bemerkt zu dieser Erfahrung: »Es schien, als würden mit Palin die dunklen Gespenster, die lange an den Rändern der Republikanischen Partei ein Schattendasein gefristet hatten - Fremdenfeindlichkeit, Antiintellektualismus, paranoide Verschwörungstheorien, die Abneigung gegenüber Schwarzen und braunen Menschen -, ihren Weg in die Mitte der Partei finden.«

Obamas Buch erinnert daran: Der Alptraum Trump, der im Januar garantiert nicht einfach vorbei sein wird, erklärt sich in seinem Zustandekommen nicht zuerst, aber auch nicht zuletzt mit dem bloßen Umstand des ersten Schwarzen im Weißen Haus. Diese von allzu vielen US-Amerikanern als Anmaßung empfundene Premiere vermittelt bis heute eine Ahnung von dem Beben, das Obamas Wahl bedeutete. Sie sollte bei der Bewertung der Präsidentschaft von Barack Sisyphos Obama nie über-, doch erst recht nie unterbewertet werden.

Barack Obama: Ein verheißenes Land. A. d. Amerik. v. Sylvia Bieker, Harriet Fricke u. a. Penguin, 1016 S., geb., 42 €.

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