Sepsis - ein Notfall mehr

An einer gefährliche Folge von Infektionen sterben auch zu viele Kinder und Jugendliche

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine kleine Verletzung durch einen Dorn kann eine Sepsis auslösen, viel häufiger aber folgt sie nach Infektionen wie eine Lungenentzündung. Die altbekannte Blutvergiftung, die sich an einer dunkel gefärbten Lymphbahn erkennen ließ, die zum Herzen hinlief, ist damit auch gemeint. An das Erkennungszeichen dürften sich Menschen erinnern, deren Kindheit einige Jahrzehnte zurückliegt. Inzwischen scheint es weniger Blutvergiftungen dieser Art zu geben. Doch die Sepsis kommt häufig vor, auch wenn der Begriff nicht weit ins Allgemeinwissen vorgedrungen ist.

Das sollte er jedoch, meint Arne Trumann, der selbst mit 44 Jahren einen septischen Schock überlebte. Bei ihm war der Auslöser ein grippaler Infekt, der noch nicht ausgeheilt schien. Trumann war schon wieder im Büro, fühlte sich aber am Abend sehr krank, »elend wie nie zuvor«. Von einem Arzt im Notdienst wurde er nicht weiter untersucht, vielmehr empfahl dieser im Falle einer Verschlechterung den Anruf bei der 112. Der hier eingesetzte Mediziner ging schon von mehrfachem Organversagen aus: Trumann wurde mit Blaulicht in ein 50 Kilometer entferntes Bremer Krankenhaus gebracht. Dort versetzte man ihn sofort in ein künstliches Koma - für die nächsten vier Wochen. Die Überreaktion seines Immunsystems kostete Trumann, der auch Klavier spielte, mehrere Fingerkuppen, die abstarben.

Absterbende Gliedmaßen sind eine der Folgen einer Sepsis, manchmal sind Amputationen nötig. Andere Patienten erleiden kognitive Einschränkungen, drei Viertel der Überlebenden klagen über Spätfolgen, 30 Prozent bleiben pflegebedürftig. In jedem Jahr sterben in Deutschland laut Patientenschützern mindestens 75 000 Menschen an einer Sepsis, die damit die dritthäufigste Todesursache ist. Das Bundesgesundheitsministerium nennt noch höhere Zahlen und spricht von rund 94 000 Todesfällen bei knapp über 300 000 Fällen im Jahr. 20 000 Todesfälle wären vermeidbar, hieß es am Dienstag bei einer Pressekonferenz des Bündnisses »Deutschland erkennt Sepsis« in Berlin.

Dieses ist auf Initiative des Aktionsbündnisses Patientensicherheit entstanden, beteiligt sind auch Krankenkassen und einige Fachorganisationen. Eine davon ist der Sepsisdialog der Universitätsmedizin Greifswald, der sich nicht nur für die Schulung aller Mitarbeiter zum Thema starkmacht, sondern auch Qualitätsparameter etabliert: Dabei wird unter anderem erfasst, wie viel Zeit von der Diagnose einer Sepsis bis zur ersten Antibiotikagabe vergeht. Diese Parameter zu erstellen und zu dokumentieren, hätte sich insgesamt als recht einfach erwiesen, so der Greifswalder Anästhesist und Notfallmediziner Matthias Gründling.

Der Gemeinsame Bundesausschuss für das Gesundheitswesen, der über abrechenbare Leistungen für gesetzlich Versicherte entscheidet, tut sich hingegen schwer damit. Absehbar wird er sich noch mehrere Jahre mit dem Thema beschäftigen müssen, ehe bereits vorgeschlagene Qualitätsindikatoren verabschiedet werden können.

Unterdessen gibt es Projekte, die gute Erfolge bei der Senkung der Sterblichkeit nachweisen können: 40 Krankenhäuser zeigten mit ihren Behandlungsdaten, dass eine schnelle operative Sanierung des Krankheitsherdes die Sterblichkeit um zehn Prozent reduziert. Einen Beitrag zu einem besseren Krankheitsausgang könnten höhere Impfraten etwa gegen Pneumokokken leisten, wie Konrad Reinhart, Vorstand der Sepsis-Stiftung, erklärte. Aus Sicht des Anästhesisten ist klar, dass in Deutschland noch viel dazugelernt werden muss. Hier liegt die Sterblichkeit nach einer Sepsis in der Altersgruppe von null bis 17 Jahren bei 17 Prozent. In New York wurde sie 2013 nach dem für Aufsehen sorgenden Tod eines Jungen durch umfassende Maßnahmen innerhalb eines halben Jahres von 11,3 auf 5,4 Prozent gesenkt. Dies gilt ebenfalls für Kinder, bei denen leicht andere Symptome auftreten als bei Erwachsenen.

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