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  • Flüchtlinge in Berlin

Blutrache als Gerücht abgetan

Brunilda Llapushi sucht Schutz in Berlin. Innensenator lehnt Härtefall ab

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ich bin hierher gekommen, um meine Kinder zu schützen«, sagt Brunilda Llapushi in einem Video, das Unterstützer*innen online gestellt haben. Die 31-Jährige lebt mit ihren drei Kindern seit Juni 2019 in Deutschland. Derzeit ist sie mit einem vierten Kind schwanger, eine Risikoschwangerschaft. Aufgrund gesundheitlicher Beschwerden konnte sie nicht für ein Gespräch mit »nd« zur Verfügung stehen. Aktuell ist die Familie geduldet. Doch Anfang Februar hat Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) entgegen der Empfehlung der Härtefallkommission entschieden, keinen humanitären Aufenthalt für die Familie zu erteilen. Im Jahr 2020 wurde laut Senatsverwaltung von 152 Ersuchen durch die Härtefallkommission 110 stattgegeben. Monika Kadur, Mitglied für den Flüchtlingsrat Berlin in der Kommission, hat gegen diese Entscheidung remonstriert, eine Aufforderung zur erneuten Neubewertung des Falles. Das mache sie durchaus nicht bei jedem Fall, erklärt Kadur die eigentlich gerade in Rente gegangen ist. »Für mich ist das ein ganz gravierender Fall aufgrund der Gewalterfahrung. Dass die hier so bagatellisiert wird, ist für mich unbegreiflich.«

Die Unterstützer*innen befürchten, dass der Familie in Albanien weitere Gewalt drohen könnte. Courtney O’Connell von dem Verein »Schön, dass Ihr da seid« kennt die Familie seit November 2019. Sie erzählt dem »nd«: »Brunilda Llapushi wurde in ihrer Kindheit von ihrer Mutter missbraucht, war seit ihrem elften Lebensjahr Opfer sexueller Gewalt und wurde mit 14 zur Heirat gezwungen.« Seit 2006 habe sie mit ihrem Ehemann in Griechenland gelebt, wo ihr zweites und drittes Kind zur Welt kamen. Sowohl sie als auch ihre Kinder hätten Gewalt durch den Ehemann und Vater erfahren. Doch das ist nicht der Grund dafür, warum Llapushi mit ihren Kindern nach Deutschland gegangen ist. 2015 habe ihr Ehemann einen anderen Mann aus Albanien ermordet. Die griechische Polizei habe sie festgenommen, bis sie ihr half, ihren Mann festzunehmen. Dieser sitze nun im Gefängnis. »Er will Brunilda tot sehen, und seine Kinder zurück«, erzählt O’Connell. Zudem drohe Blutrache von der Familie des Mordopfers. Diese ist Teil des albanischen Gewohnheitsrechts »Kanun«. Ein Mord wird dabei durch die Ermordung eines männlichen Familienmitglieds des Täter gesühnt. Dieses Argument wurde im Asylverfahren durch das BAMF »geprüft und verworfen«, gibt die Senatsverwaltung dem »nd« Auskunft. Laut einer Veröffentlichung des Schweizer Flüchtlingswerk ist die Blutrache seit den 1990er Jahren in Albanien wieder verbreiteter.

Eine Begründung der Ablehnung Geisels waren auch fehlende Integrationsbemühungen der Familie. Für die Unterstützer*innen zeigt allein das große Netzwerk der Familie, dass sie sich gesellschaftlich schnell integrieren. »Als die Familie nach Deutschland kam, setzte kurze Zeit später die Pandemie ein. Die Kinder sind in eineinhalb Jahren dreimal umgeschult worden und nicht sitzen geblieben – schon das ist eine großartige Leistung«, sagt Kadur zu »nd«. »Für Kinder sind 18 Monate eine lange Zeit. Sie reden untereinander nur Deutsch«, ergänzt O’Connell, die in der Jugendbeteiligung tätig ist. Für sie ist der Fall auch ein Anlass, das Thema Abschiebungen von Kindern aus Deutschland zu thematisieren. Aktuell gingen die Kinder nicht einmal zur Schule, nach der Auflösung ihrer Unterbringung wurden sie in ihrer letzten Schule abgemeldet. »Sie sind schulpflichtig, aber es scheint unmöglich, einen Schulplatz in ihrem neuen Einzugsgebiet für sie zu bekommen. Niemand will zuständig sein«, sagt O’Connell mit Verzweiflung in der Stimme.

Der Ball liegt nun beim Innensenator. »Andreas Geisel hat die Macht zu entscheiden, ob die Familie ein Bleiberecht bekommt, oder nicht. Das ist eine politische Entscheidung«, erklärt Monika Kadur. Sollte er die Remonstration ablehnen, droht der Familie die Abschiebung nach Albanien. »Das wäre der nächste Bruch, das Kind würde von seinem Vater getrennt. Diese Familie muss einfach mal zur Ruhe kommen«, so die langjährige Härtefallberaterin. Der Vater des ungeborenen Kindes Aaron ist selbst nur geduldet und könnte die Familie nicht begleiten. Im Video sagt er: »Ich will mit ihnen zusammen hier bleiben, als Familie. Wir haben nichts Falsches gemacht, wir sind nur gekommen, um sicher zu sein.«

Geisel selbst will sich auf Nachfragen des »nd« nicht äußern. »Der Fall ist noch bei der Härtefallkommission anhängig, eine Abschiebung ist derzeit noch nicht geplant«, sagte ein Sprecher der Senatsverwaltung.

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