Grüner Platzhirsch

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat gute Chancen, auch nach der Landtagswahl weiter zu regieren

  • Dirk Farke
  • Lesedauer: 5 Min.

Winfried Kretschmann ist unangefochten der starke Mann in Baden-Württemberg. Seit zehn Jahren ist der Grüne Ministerpräsident, und allen Prognosen zufolge wird sich auch nach den Wahlen daran nichts ändern. Durchaus erfolgreich gelang es dem mittlerweile 73-Jährigen in den vergangenen beiden Legislaturperioden, sich als ökologisch-kapitalistische Alternative zu vermarkten.

Mit einem Stimmenanteil von 30,3 Prozent und 47 von 143 möglichen Sitzen im Landtag landeten Baden-Württembergs konservative Grüne bei den letzten Landtagswahlen 2016 klar vor ihrem Koalitionspartner CDU, die lediglich auf 27 Prozent kam. Und gemäß der aktuellen Umfrage von infratest dimap vom 4. März kommen die Grünen am Sonntag sogar auf 33 Prozent, während der Koalitionspartner CDU zwei Prozentpunkte verliert und nur noch 25 Prozent erreicht. Die Koalitionsparteien ergänzen sich nach wie vor gut in ihrem konservativen, vor allem den Besserverdienenden nützenden Regierungsstil. Ein Beispiel hierfür ist das Aushängeschild der Grünen: die Umweltpolitik.

Im Rahmen einer virtuellen Pressekonferenz am 9. Februar bilanzierten die Landesverbände von BUND und Nabu die zu Ende gehende Legislaturperiode gemeinsam aus ihrer Sicht. Beide Vorsitzenden lobten zwar die Anstrengungen, die die Landesregierung unter grüner Führung unternommen habe. Geht man jedoch etwas mehr ins Detail, dann zeigt sich, dass diese vorgeblichen Anstrengungen leider nicht von Erfolg gekrönt waren. Aus Sicht beider Verbände ist «der Flächenverbrauch nach wie vor ein großes Problem». Da müsse sich die Landespolitik noch stärker anstrengen als bisher, «sonst werden wir unseren Anteil zum Schutz von Insekten und Klima nicht leisten», hieß es.

Die Verbände vermissen «einen Fahrplan zum Ausstieg aus der Nutzung der klimaschädlichen Kohlekraftwerke in Baden-Württemberg und eine ausreichende Unterstützung für Bürgerenergieanlagen». Kritik auch beim Blick auf die Situation in der Tierhaltung. Da habe die Landesregierung «zu wenig unternommen, um die Massentierhaltung und die Schlachthöfe besser zu kontrollieren und Veränderungen hin zu mehr Tierwohl auf den Weg zu bringen». «Wir brauchen einen Marathonlauf im Sprinttempo, um das Artensterben aufzuhalten», resümierten beide.

Doch das geschieht offenbar nicht. Nicht zuletzt deshalb, weil in Baden-Württemberg auch die Automobilhersteller Daimler und Porsche ansässig sind, und zudem große Zulieferer wie Bosch und ZF Friedrichshafen AG hier ihren Sitz haben. Auch deren Interessen versucht die Landesregierung zu berücksichtigen. Schon einige Male wurde über Kretschmann gesagt, er sei der verlängerte Arm der Automobilindustrie. Bei einem Redaktionsbesuch der Fachzeitschrift «Auto Motor Sport» im Oktober 2019 sagte er beispielsweise, ein Tempolimit sei zwar «ein Gebot der Vernunft», dies habe «jedoch keine Priorität mehr». Fraglos macht Kretschmann Abstriche beim Umweltschutz, um die Gunst der Unternehmen zu wahren.

Die Forderungen eines Tempolimits hält dagegen der Grüne Umweltminister Franz Untersteller aufrecht. Nur hat dessen Politik an Glaubwürdigkeit verloren, als er Ende November letzten Jahres auf der Autobahn A8 zwischen Stuttgart und Karlsruhe mit 177 Stundenkilometer von der Polizei geblitzt wurde - 120 waren erlaubt. Er habe es halt eilig gehabt, rechtfertigte Untersteller sich für seine Fahrweise.

Vielleicht längst überfällig hat sich als umweltpolitische Alternative zu den Grünen im September 2020 in Freiburg die Klimaliste Baden-Württemberg als Partei gegründet. Sie tritt am 14. März in 67 von 70 Wahlkreisen an und hat mittlerweile mehr als 400 Mitglieder. Politisches Ziel der Liste ist es, die Klimaziele von Paris wissenschaftsbasiert und sozial gerecht umzusetzen, sowie die Bekämpfung von Diskriminierung, sozialer Ausgrenzung und anderer Formen von Rassismus und Gewalt.

Auf Wunsch des christdemokratischen Regierungspartners, allem voran des Innenministers Thomas Strobl, verschärfte die grün-schwarze Koalition im September letzten Jahres innerhalb von nur drei Jahren zum zweiten Mal das Polizeigesetz. Trotz erheblicher Proteste der Bevölkerung, einer Verfassungsbeschwerde der Berliner Gesellschaft für Freiheitsrechte und einer vernichtenden Kritik des baden-württembergischen Anwaltsvereins wurde die Schwelle für gravierende Grundrechtseingriffe noch weiter abgesenkt. «Unsere Polizei wird immer stärker und stärker», frohlockte Strobl im September bei der Verabschiedung des Gesetzes im Landtag.

Angesichts dieser erzkonservativen Politik hofft die Linke darauf, als Opposition endlich den Sprung in den Landtag zu schaffen. In den Prognosen hat sie von Januar bis Ende Februar zulegen können und befindet sich jetzt bei vier Prozent. Bei Bundestagswahlen erreicht die Linke in Baden-Württemberg allerdings regelmäßig zwischen sechs und sieben Prozent. Um dieses Potenzial abzurufen, ist Sahra Mirow als Spitzenkandidatin angetreten. «Wir brauchen endlich eine grundsätzliche Wende in der Politik für eine sozial-ökologische Gesellschaft», fordert sie gegenüber «nd». Das in diesem reichen Land existierende Armutsproblem müsse nicht sein. Als aktive Armutsbekämpfung sieht sie zum Beispiel einen landesspezifischen Mindestlohn von 13 Euro, einen kostenlosen Öffentlichen Nahverkehr und einen landesweiten Gratis-Zugang zu Museen, Theatern und Schwimmbädern für Menschen mit geringem Einkommen. Eine Verknüpfung der ökologischen mit der sozialen Frage« sei nur mit der Linken möglich, erläutert die 38-Jährige.

Die beiden Oppositionsparteien SPD und FDP liegen in den Prognosen mit jeweils zehn Prozent gleich auf. Die SPD könnte damit ihr historisch schlechtestes Ergebnis von 2016 mit 12,7 Prozent nicht halten. Die FDP gewänne 1,7 Prozent hinzu.

Der AfD gelang mit einem Stimmenanteil von 15,1 Prozent 2016 das beste Wahlergebnis in westdeutschen Bundesländern. Sie kam auf 23 Mandate, darunter zwei Direktmandate. Wegen der Flügelkämpfe, Austritten und Ausschlüsse hat sich die Fraktion mittlerweile auf 15 Abgeordnete dezimiert.

Nicht allein Ordnungsrufe und Sitzungsausschlüsse haben im Landtag in den letzten fünf Jahren zugenommen. Immer wieder gelingt es den Rechtsradikalen auch, das Parlament als Bühne für gezielte Provokationen zu missbrauchen, um mediale Aufmerksamkeit zu erringen und staatliche Institutionen herabzuwürdigen. Mehrmals mussten ihre Abgeordneten von der Polizei aus dem Landtag begleitet werden, weil sie wiederholte Ordnungsrufe von Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) ignorierten.

Angesichts dieser verheerenden Bilanz von Regierung und Opposition scheint das Postulat der Kleinpartei Die Partei aktueller denn je: »Mach keinen Scheiß mit deinem Kreuz«! Bei der vergangenen Wahl hatte die Satirepartei lediglich 0,3 Prozent erhalten.

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