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Nachricht vom politischen Parkett
Strittig und doch lesenswert: »Letzte Chance« von Gregor Schöllgen und Gerhard Schröder
Der Titel klingt wie aus der Werbung: Kaufen Sie, sonst ist es zu spät. Und jetzt soll es gleich eine »neue Weltordnung« sein? Die lässt sich aber nicht herbeizitieren, wie die Autoren wohl wissen. Neulich las ich irgendwo im Internet, Gerhard Schröder könne doch eine neue Partei gründen. Mit seinem Aufruf zur Auflösung der Nato, seiner konsequent pragmatischen, partnerschaftlichen Haltung zu Russland - nur mit diesen beiden Punkten hätte er schon Millionen Wähler gewonnen. Und die vergessen ihm die Agenda 2010, die er, so gesagt in einem Phoenix-Interview, nach wie vor für »vernünftig« hält?
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Gregor Schöllgen/ Gerhard Schröder: Letzte Chance. Warum wir jetzt eine neue Weltordnung brauchen.
DVA, 249 S., geb., 22 €. •
Wenn er in diesem Buch kritisiert, dass es der »alte Kontinent« bis heute nicht geschafft habe, »sich als politische, wirtschaftliche und militärische Union aufzustellen«, dann fehlt das Wort »sozial«. Und »militärisch« ist zu hinterfragen. Das Plädoyer für eine »europäische Armee als Gebot der Stunde« soll man natürlich auch so verstehen, dass damit eine Veränderung der Nato einhergehen könnte und Europa dadurch ein Stück Unabhängigkeit gegenüber den USA gewänne. »Denn solange es die Nato in ihrer bestehenden Façon gibt, hat Amerika gar keine Veranlassung, seine Wahrnehmung Europas zu ändern, und das wiederum heißt in der Konsequenz auch: Russland bleibt für den Westen der potenzielle Gegner, der die Sowjetunion bis zu ihrem Untergang tatsächlich gewesen war.«
Nach dem Ende des Kalten Krieges befinden sich weiterhin amerikanische Atombomben auf deutschem Boden. Für ihren möglichen Einsatz will die Bundeswehr die altersschwachen Tornados sogar ersetzen und 45 F-18-Kampfflugzeuge kaufen. »Wenn es darauf ankommt, ist der Einsatz der amerikanischen Atomwaffen eine Angelegenheit Washingtons«, heißt es im Buch. Die Sorge ist berechtigt. Dagegen wird hier indes keine Friedenshymne gesungen, im Gegenteil: »In einer Zeit, in der Europa gefordert ist, aus präventiven, ökonomischen, humanitären und anderen Gründen auch auf anderen Kontinenten militärisch zu intervenieren, und gefordert sein könnte, sich an seinen Grenzen gegen Gefahren aller Art zu verteidigen, wäre eine einsatzfähige europäische Armee das Gebot der Stunde.«
Diesen Satz sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen. Verteidigung europäischer Interessen in alter neokolonialer Manier? Zum Beispiel auch im Ringen um Ressourcen, dem hier ein ganzes Kapitel gilt? Das ist nicht nur für die Waffenindustrie verlockend, das lässt vielerlei Ambitionen freien Raum. Wird Russland im Text auch als »verlässlicher Partner«, als »Brücke Europas zum asiatischen Riesenraum inklusive China« beschworen, heißt es in einem Papier der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, eine europäische Armee würde »ein kraftvolles Signal an Russland senden«.
So weit das Strittige. Unbedingt lesenswert ist der Band, weil er die ganze Welt in den Blick nimmt, und das nicht nur in ihrer heutigen Gestalt. Europa, die USA, Russland, China - nach und nach fast alle Länder in Asien und Afrika werden im Einzelnen faktenreich und konzentriert in ihrem historischen Gewordensein betrachtet, aus dem sich heutige Konflikte ja zu Teilen erklären. Alte Feindschaften und neue Interessen - geopolitische Zusammenhänge, die man kennen muss, um aktuelle Vorgänge einschätzen zu können. Das mag vor allem Sache des Historikers Gregor Schöllgen gewesen sein, der im Übrigen schon einmal eine Biografie über Gerhard Schröder verfasst hat.
Wobei einem beim Lesen natürlich klar sein muss, dass Geschichtsschreibung und -bewertung nicht unabhängig sind von aktuellen Einschätzungen und Interessen, von der Haltung der Verfasser. Von ihrem Platz auf dem politischen Parkett schauen sie in die Runde, aber vor allem wohl hin zu den »Kollegen«. Um Leute mit Einfluss für sich zu gewinnen, braucht es auch eine Dosis Diplomatie. Gerade Gerhard Schröder als Leiter des Verwaltungsrats von Nord Stream 2 muss sich überlegen, wie er formuliert, damit man ihm zuhört und ihn nicht gleich als Russland-Versteher in die Ecke stellt. Da ist man als Leser bei Autoren wohl besser aufgehoben, die nichts zu verlieren haben.
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