Krisenfeste Stadt

Die Grünen wollen Berlin bis 2030 zu einer Null-Emissions-Zone machen

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit ordentlich Rückenwind aus den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg diskutierten Delegierte der Berliner Grünen am Wochenende ihr Wahlprogramm für die Abgeordnetenhauswahlen im September. Bettina Jarasch wies als Bürgermeisterkandidatin der Partei auf die großen Herausforderungen hin, vor der die Stadt stehe: Klimapolitik, Wohnungspolitik und Zusammenhalt der Gesellschaft.

In den vergangenen fünf Jahren habe man in der Regierung bereits »die Wende eingeleitet«, »die Weichen gestellt« und »Berlin auf Zukunftskurs gebracht«, sagte Landesvorsitzende Nina Stahr zu Beginn der Konferenz. Doch das reiche nicht: »Unser Berlin ist wunderbar, aber hat noch viel mehr Potenzial«, so Stahr weiter. So ging es dann weiter. Wenig verwunderlich also, dass es wenig Nachdenkliches und Kritisches zu hören gab auf der Landesdelegiertenkonferenz, die teilweise digital, teilweise analog stattfand. In großer Einigkeit verabschiedeten die 146 Delegierten das Wahlprogramm und stellten sich in den meisten Abstimmungen hinter den Landesvorstand.

Bis spätestens 2030 soll die Berliner Innenstadt demnach zu einer »Null-Emissions-Zone« umgestaltet werden. In dieser Zone sollen »weitestgehend keine Fahrzeuge mit klima- und gesundheitsschädlichem Verbrennungsmotor mehr fahren dürfen«. Eine Zone, die ausgeweitet werden soll, so dass bereits 2035 Diesel- oder Benzinautos in Berlin nicht mehr betrieben werden dürfen. Die Grüne Jugend Berlin forderte sogar eine komplett autofreie Innenstadt bis 2025 und ein autofreies Berlin bis 2030. Ein Vorschlag, dem die Delegierten dann aber doch das Votum verweigerten.

Für ihre Verhältnisse überraschend klar stellte sich Spitzenkandidatin Jarasch gegen den Weiterbau der A100 nach Friedrichshain und Lichtenberg: »Was wir nun wirklich nicht brauchen in Berlin, ist eine Autobahn! Eine Schneise aus Beton, die lebendige, dicht besiedelte Quartiere durchtrennt. Statt über den Weiterbau sollten wir anfangen, über den Rückbau der A100 zu reden!«

Zugleich soll das Netz des Öffentlichen Personennahverkehrs ausgebaut werden. So wollen die Grünen einen »Fünf-Minuten-Takt in den dicht besiedelten und Zehn-Minuten-Takt in den weniger dicht besiedelten Gebieten« einführen. Vorrangig soll der Ausbau von Tramlinien vorangetrieben werden, aber auch neue U- und S-Bahnlinien sollen weiterhin möglich sein. Für fast alle also etwas.

Das Potenzial für Emissionssenkungen ergebe sich, so die Grünen, aber nicht nur aus Maßnahmen im Verkehrsbereich und der Abschaltung von Kohlekraftwerken, sondern auch aus der Nutzung der Hausdächer zur Strom- und Wärmeerzeugung. So soll »der Einbau von Solaranlagen zur Strom- und Wärmegewinnung bei Neubauten verpflichtend« werden. Die Kosten für nötige energetische Modernisierungen sollen zwischen Mieter, Vermieter und öffentlicher Hand gedrittelt und so für Mieter reduziert werden, die aktuell den gesamten Anteil tragen.

Im Kampf gegen steigende Preise für Wohnraum setzen die Grünen vor allem auf einen massive Erweiterung des Gemeinwohl-Sektors. »50 Prozent des Wohnraums« sollen in 30 Jahren »gemeinwohlorientiert« sein. Dabei wolle man sich am Wiener Modell orientieren. Die Grüne Jugend forderte sogar 70 Prozent Gemeinwohlorientierung, blitzte aber ab. Die wohnungspolitische Fraktionssprecherin im Abgeordnetenhaus, Katrin Schmidberger, versuchte zu vermitteln: Die 70 Prozent seien schon richtig - »aber es wird krasse Widerstände geben, das wird eine Mammutaufgabe«.

Auch Thomas Wolff von der Landesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen zeigte sich enttäuscht. Der Bezug auf das Wiener Modell sei eine »Mogelpackung«, da die Mittelschicht, wie Lehrer oder Verwaltungsangestellte, außer Acht gelassen würde, sagte er und ergänzte: »Spekulation mit Bauland soll unterbunden werden. Dazu gibt es aber keinen Ansatz im Wahlprogramm.« Außerdem habe das Grundeinkommen keinen Eingang in das Wahlprogramm gefunden - nicht mal als Pilotprojekt.

Kritische Äußerungen wie die von Wolff blieben freilich die Ausnahme auf der Konferenz. Es überwog der Optimismus, den Jarasch so in Worte fasste: »Das ist die Riesenchance, die wir ergreifen müssen: Die Stadt nach der Pandemie so verändern, dass sie krisenfester wird. Resilient gegen ein Virus, und resilient gegen den Klimawandel!«

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