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Amazons Einfluss ist zu groß

Ex-Manager Tim Bray fordert eine Aufspaltung der zu mächtigen Techkonzerne

  • Mig Preisinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie haben Amazon in leitender Position vor einem Jahr aus Protest gegen die Entlassungen von Warenlagermitarbeitern verlassen. Wie waren die Reaktionen darauf?

Es gab erstaunlich große Unterstützung. Ich erhielt Tausende Rückmeldungen - Blogkommentare, LinkedIn-Posts, Twitter-Nachrichten, E-Mails ... Die Reaktionen waren zu 99,5 Prozent positiv. Das ist sehr interessant, denn es zeigt, dass die Menschen unzufrieden mit Amazon sind und generell mit »Big Tech«.

Tim Bray
Der frühere Vizepräsident von Amazon Web Services, der Cloudsparte des Onlinekonzerns, schied vor einem Jahr aus dem Unternehmen aus. Bevor der kanadische IT-Spezialist 2014 zu Amazon wechselte, war er Mitgründer des Unternehmenssoftware-Start-ups Antarctica Systems in Vancouver und arbeitete unter anderem für Google. Mit dem 65-Jährigen sprach Mig Preisinger über Amazon, die Reaktionen auf seinen Rücktritt und die wachsende Macht der Techkonzerne. Foto: privat/bwjones

Stehen Sie noch in Kontakt mit Ihren früheren Kollegen aus dem Management von Amazon und tauschen sich mit ihnen aus?

Die Leute bei Amazon müssen vorsichtig sein, wenn sie mit mir reden. Ich glaube, ich werde als »der Feind« angesehen. Trotzdem ist die Interaktion mit Leuten von Amazon immer freundlich gewesen.

Gibt es Unterschiede in der Behandlung der Warenlagerbeschäftigten und der Lieferwagenfahrer durch Amazon im Vergleich zu den Angestellten in den Bereichen Technik und oberes Management?

Das ist sehr einfach. Die technischen Mitarbeiter haben eine Menge Macht, denn sie sind teuer, können leicht kündigen und trotzdem einen anderen Job finden. Deshalb haben sie einen großen Einfluss auf das Unternehmen. Die Warenlagerbeschäftigten dagegen haben nur sehr wenig Einfluss, denn sie sind ersetzbar. In den USA sind sie besonders schwach, denn das arbeitsrechtliche Klima ist sehr gegen Gewerkschaften eingestellt, und weil die Krankenversicherung hängt von ihrem Arbeitsplatz ab.

Denken Sie, dass Amazon in der Coronakrise einen unverhältnismäßig großen Gewinn gemacht hat und weiterhin macht? Und wenn ja, hat der Konzern seine Marktmacht missbraucht?

Es gibt gar keinen Zweifel: Alle Internetunternehmen haben von Covid-19 profitiert, denn die Menschen mussten mehr und mehr Aktivitäten online erledigen. Auf der einen Seite sollten wir für diese Infrastruktur dankbar sein. Sie ermöglicht es, mit unserem Leben fortzufahren, ohne in eine infektiöse Außenwelt zu gehen. Auf der anderen Seite war aber das Niveau der Ungleichheit von Macht und Besitz schon vorher nicht akzeptabel - und Covid-19 hat es noch schlimmer gemacht.

Wenn Sie auf die vergangenen zwölf Monate zurückschauen, in denen die großen Unternehmen durch die Lockdowns ihre Marktmacht vergrößerten: Kann der Einfluss von Amazon und vergleichbaren Unternehmen auf die Politik auf nationaler und internationaler Ebene Ihrer Meinung nach noch wachsen?

Ich glaube, das Gegenteil wird der Fall sein. Die öffentliche Meinung gegenüber den großen Technologieunternehmen hat sich in den vergangenen zehn Jahren dramatisch verändert. Politiker beider Flügel, sowohl des rechten wie des linken, sind Amazon und seinen Wettbewerbern gegenüber zunehmend feindlich eingestellt. Darüber hinaus ist die überwältigende Mehrheit der Büromitarbeiter von großen Techfirmen progressiv eingestellt.

Wie denken Sie über den weiter zunehmenden Einfluss großer internationaler Konzerne auf demokratisch gewählte Regierungen: Wird dieser Einfluss die Demokratie langfristig zerstören, oder kann er auch Vorgänge beschleunigen, wie bei der Entwicklung der Covid-19-Impfstoffe deutlich wurde?

Der Einfluss ist viel zu groß, eindeutig. Das hohe Niveau ist teilweise eine Konsequenz aus der allgemeinen Korruption, denn es fließt viel Geld von den Unternehmen in die Politik. Es ist aber auch eine Folge der exzessiven Konzentration und Monopolisierung. Google und Facebook, Microsoft und Amazon sollten alle in eine Vielzahl von Firmen aufgespalten werden. Das wäre von großem Nutzen für die Gesellschaft und die Wirtschaft.

Abschließende Frage: Können Sie sich vorstellen, jemals wieder in eine Position in einem großen Unternehmen zurückzukehren, wie Sie sie bei Amazon innehatten?

Ich habe in der Technologiesparte 40 Jahre lang gearbeitet, die meiste Zeit davon für große Unternehmen. (lacht) Ich denke, dass ist genug!

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