»Frivoler Bericht«

Auf Druck von Schwimmerinnen und Mitarbeiterinnen des DSV wird der neue Sportdirektor sofort wieder freigestellt

  • Jörg Soldwisch
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein sieben Jahre altes Werbefoto löst im deutschen Schwimmsport gerade große Wellen aus. Drei barbusige Frauen halten, umringt von fünf stattlichen Wasserballern, einen Bademantel hoch, auf dem das Logo des Berliner Bordells »Artemis« zu erkennen ist. Unten links auf dem Bild hockt mit rausgestreckter Brust Dirk Klingenberg, der sich zu einem Werbespruch hinreißen ließ: »Erst gewinnen wir den Oldie-Titel, danach feiern wir unseren Sieg im Artemis-Pool«.

Die Werbeaktion von 2014 wird dem 190-maligen Wasserball-Nationalspieler jetzt zum Verhängnis. Nur einen Tag nach seiner offiziellen Ernennung zum Leistungssportdirektor des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) wurde Klingenberg der Posten wieder entzogen. Der »frivole Bericht« aus Klingenbergs Vergangenheit sei »mit den hohen moralischen Ansprüchen des Spitzenverbandes nicht vereinbar«, hieß es als Begründung in einer Pressemitteilung des DSV.

Kein Aprilscherz

Klingenberg vermutete zunächst einen verfrühten Aprilscherz. »Ich habe ehrlich gedacht, es sei schon der 1. April«, sagte der 51-Jährige dem SID: »Ich fühle mich als Bauernopfer.« Der Vorwurf des Sexismus, den man aus dem Vorgang ableiten könnte, sei »völlig aus der Luft gegriffen, um gegen mich Politik zu machen«, so Klingenberg: »Es gibt keine Leiche bei mir im Keller, nur dieses eine Foto.« Und das sei dem Unternehmensberater Michael Rosenbaum, der dem DSV bei der Auswahl des Sportdirektors Empfehlungen gibt, auch bekannt gewesen. »Das Foto hat vielleicht ein Geschmäckle, ist aber nichts Verwerfliches und erst recht nichts Verbotenes«, verteidigte sich Klingenberg: »Fachlich war man von mir überzeugt.«

Und doch reichte es dem Deutschen Schwimm-Verband aus, die Ernennung zurückzuziehen, was auf Außenstehende wie eine peinliche Posse wirkt. Aber intern soll es Druck von Schwimmerinnen und Mitarbeiterinnen des Verbandes gegeben haben. Nach den jüngsten Missbrauchsvorwürfen im Verband ist das Thema ein hochsensibles, zumal dem DSV ein Streit vor dem Arbeitsgericht mit dem bisherigen Leistungssportdirektor Thomas Kurschilgen droht.

Der 60-Jährige musste seinen Posten nämlich räumen, weil er aus Verbandssicht Hinweisen auf Missbrauchsverdachtsfälle nicht angemessen nachgegangen sein soll. Kurschilgens Anwalt Jan Friedrich Beckmann sagte der »Süddeutschen Zeitung« zu dem Vorwurf: »Es ist nicht ansatzweise zu erkennen, welche Pflichtverletzung eine Freistellung oder die außerordentliche Kündigung durch den DSV-Vorstand rechtfertigen könnte.« Die Rolle rückwärts im Fall Klingenberg dürfte also auch mit Blick auf den möglichen Prozess mit Kurschilgen erfolgt sein.

Die offizielle Erklärung kann Klingenberg nicht nachvollziehen. »Wie definiert man denn ›hohe moralische Ansprüche‹? Wenn sich eine Athletin für den Playboy auszieht, ist das dann auch unmoralisch?«, fragte der Olympiateilnehmer von 1996. Er wünsche dem DSV viel Erfolg bei der Neuausrichtung, »mir tun die Athleten und Athletinnen leid, sie müssten eigentlich im Mittelpunkt stehen, aber stattdessen ist auf den Verband wieder ein schlechtes Licht geworfen.«

Unruhe und Angst

Ab dem kommenden Wochenende springen die Leistungsschwimmer wieder ins Wasser, der Wettbewerb in Heidelberg ist der Auftakt der vierteiligen Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele. Die größten Wellen werden aber erneut abseits des Beckens geschlagen. Freiwasser-Weltmeisterin Sarah Köhler, die ihr Tokio-Ticket bereits in der Tasche hat, hatte schon nach der Kurschilgen-Trennung von »Verunsicherung, Unruhe und auch Angst« gesprochen.SID/nd

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