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Fußball: Stadionverbote statt Dialog
In den Polizeizahlen erkennt man weniger Gewaltdelikte im Stadion – die Innenminister wollen dennoch Pyrotechnik und Fankultur stärker kontrollieren
Die Jugendorganisationen von Parteien, Kirchen und Angelvereinen dürften an den vergangenen beiden Wochenenden irritiert auf den Fußball geschaut haben. Denn während sie selbst große Schwierigkeiten haben, junge Menschen für ihre Zwecke zu begeistern, mobilisierte der lose Zusammenschluss »Fanszenen Deutschland« am vorletzten Wochenende nach unterschiedlichen Angaben 13 000 Fußballfans aus rund 50 Standorten zu einer Demo nach Leipzig – der Termin war drei Tage vorher bekanntgegeben worden.
Am vergangenen Wochenende schwiegen dann in sehr vielen deutschen Stadien die Fankurven für zwölf Minuten und hissten Transparente wie »Ist es das, was ihr wollt?«. Aus ihrer Sicht planen die 16 Landesinnenminister derzeit nämlich, die Axt an eine lebendige Fankultur zu legen. Auch am kommenden Wochenende dürfte der Schweigeprotest flächendeckend durchgezogen werden – spektakulärere Aktionen nicht ausgeschlossen.
Dass in Leipzig auch Fangruppen friedlich zusammen demonstrierten, die sich im Alltag spinnefeind sind, begründet Thomas Kessen vom Fandachverband »Unsere Kurve« mit »der Reife und Geschlossenheit der deutschen Fans«. Der Slogan »Getrennt in den Farben, vereint in der Sache« sei die Leitschnur, wenn es um wichtige gemeinsame Anliegen gehe. Und das Innenministertreffen, das am Mittwoch in Bremen beginnt, behandle ein solches.
Vor dem Treffen ist allerdings umstritten, ob es überhaupt einen Grund gibt, es abzuhalten. Schon die Ausgangsfrage, ob der Fußball überhaupt ein nennenswertes Problem mit Gewalt habe, ist umstritten. Fans und Vereine zitieren in erstaunlicher Eintracht eine soeben veröffentlichte, auf Polizeizahlen basierende Statistik, die tatsächlich einen Rückgang der Gewalt im Stadion dokumentiert. Bei über 25 Millionen Stadionbesuchern kam es demnach zu einem Rückgang von 17 Prozent bei Gewaltdelikten und einem Minus von neun Prozent bei den Polizeieinsatzstunden – verschiedenen Vergleichen zufolge ist der Besuch eines Volksfestes deutlich gefährlicher. »Die Innenminister«, findet Fan-Vertreter Kessen, »sollten so ehrlich sein, das Verfahren mangels Bedarfs zu beerdigen.«
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Das sehen die derweil anders und zitieren die gleiche Statistik zur Begründung, die eben auch eine massive Zunahme von Pyrotechnik ausweist. Wie diese Zahlen zu bewerten sind, ist ebenso umstritten. Während Fans und viele Vereinsverantwortliche betonen, dass es bei Hunderten Zündeleien jeden Monat nur vergleichsweise wenige Verletzte gebe, verweist die Politik auf die Rechtslage und die Stadionordnungen. Nicht zuletzt, um dieses Verbot mitzukontrollieren und mit mäßigem Erfolg durchzusetzen, sind Woche für Woche enorm viele Polizisten im Einsatz.
Und das ist womöglich der eigentliche Grund für den Gipfel am kommenden Wochenende: Die Polizeieinsatzstunden sind der Politik nach wie vor zu hoch. Sachsens Innenminister Armin Schuster »würde gerne statt Hundertschaften wie bei anderen Sportarten mit ein paar Streifen arbeiten«. Zwei Maßnahmen sollen für mehr Sicherheit (und weniger Polizei) sorgen: Personalisierte Eintrittskarten sowie die Verschärfung der Stadionverbotsrichtlinien.
Die Innenpolitiker hegen den Verdacht, dass bei den zuständigen Stadionverbotskommissionen vor Ort zu oft ein Auge zugedrückt wird und wollen die Verfahren auf Bundesebene zentralisieren. Die Fans wiederum befürchten, dass künftig schon ein Ermittlungsverfahren reichen könnte, um ein Stadionverbot zu verhängen. Zudem sollen personalisierte Eintrittskarten »sicherstellen, dass derjenige, der die Karte gekauft hat, auch im Stadion ist«, wie Schuster betont. Allerdings wäre eine solche Maßnahme nur dann sinnvoll, wenn am Drehkreuz neben dem Ticket auch der Personalausweis kontrolliert wird. Darin, dass das bei 50 000 Zuschauern nicht praktikabel ist, sind sich Verbände und Fans einig – schon jetzt dauert der Einlass zuweilen quälend lange. Zudem ermöglicht die Personalisierung der Polizei ja auch nur dann zusätzliche Erkenntnisse, wenn beispielsweise auf Sitzplatz Block 3, Reihe 5, Sitz 3 Pyrotechnik gezündet wird und die entsprechende Eintrittskarte den Besitzer ausweist. Doch gezündet wird in der Regel auf den Stehplätzen – und dort gibt es keine nummerierten Plätze.
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