Solidarität als Waffe

Nach der Niederschlagung des Märzaufstandes wurden vor 100 Jahren erste Rote-Hilfe-Komitees gegründet

  • Nikolaus Brauns
  • Lesedauer: 3 Min.

Die ›Ordnung‹ feiert Triumphe. Die Märzaktion des Proletariats ist niedergeschlagen«. Mit diesen Worten begann ein Aufruf der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), der am 12. April 1921 in der Tageszeitung »Rote Fahne« erschien. Der von der Zensur verstümmelte Appell zur Unterstützung »für die Opfer des proletarischen Befreiungskampfes« gilt als Geburtsurkunde der Roten Hilfe, deren Gründung darin bekanntgegeben wurde.

Hintergrund war die militärische Niederschlagung des kommunistischen Märzaufstandes im mitteldeutschen Industriegebiet um Halle und Leuna. Hunderte an den Kämpfen beteiligte Arbeiter waren tot oder verwundet, Tausende befanden sich in Haft oder waren untergetaucht. Zahlreiche ihrer männlichen Hauptverdiener beraubte und aus Werkswohnungen geworfene Familien litten Not. Um schnelle Hilfe zu leisten, bildeten sich auf Initiative der KPD reichsweit Rote-Hilfe-Komitees. Bei Haustürsammlungen, auf Kundgebungen und in Betriebsversammlungen wurden Gelder, Lebensmittel und Kleidung gesammelt. KPD-Mitglieder mussten Rote-Hilfe-Marken für ihre Parteibücher kaufen. Große Geldsummen kamen zudem aus der Sowjetunion sowie von ausländischen kommunistischen Parteien, so dass schon in den ersten zwei Monaten über 400 000 Mark an Spenden verteilt werden konnten. Die Rote-Hilfe-Komitees zahlten wöchentliche Unterstützungssätze in Höhe von 60 Mark pro Ehefrau und 20 Mark pro Kind. Für die Angeklagten wurden Anwälte organisiert. Ein illegaler Apparat leistete Fluchthilfe für untergetauchte Revolutionäre, denen falsche Papiere, Essens- und Schlafplätze beschafft wurden.

Als nach dem Hamburger Aufstand vom Oktober 1923 vorübergehend die KPD verboten und so auch die Rote Hilfe in die Illegalität getrieben wurde, zeigte sich die Notwendigkeit einer organisatorisch von der KPD unabhängigen Vereinigung, die auch anderen Strömungen der Arbeiterbewegung offenstand. So wurde im Oktober 1924 die Rote Hilfe Deutschlands (RHD) als proletarische Hilfsorganisation für politische Gefangene und ihre Familien gegründet. Bis Anfang der 1930er Jahre entwickelte sich die RHD zu einer Massenorganisation mit 375 000 Einzelmitgliedern und weiteren 651 000 verbands-, genossenschafts- oder belegschaftsweise beigetretenen Kollektivmitgliedern. Die Führung blieb in kommunistischer Hand - Vorsitzender war der KPD-Reichstagsabgeordnete Wilhelm Pieck. Doch unter den Mitgliedern hielten sich KPD-Mitglieder und Parteilose in etwa die Waage, während die SPD ihren Mitgliedern den Beitritt zu der »kommunistischen« Organisation verboten hatte. Die Rote Hilfe führte breite Kampagnen für die Freilassung des anarchistischen Dichters und Räterepublikaners Erich Mühsam, des nach dem Märzaufstand 1921 zu lebenslanger Haft verurteilten Partisanenführers Max Hoelz, aber auch des Anfang der 1930er Jahre von den Nazis zur KPD übergetretenen Reichswehrleutnants Richard Scheringer durch. Auch Mitglieder der sozialdemokratischen Wehrorganisation Reichsbanner, die nach Auseinandersetzungen mit der SA von ihrer eigenen Partei in Stich gelassen wurden, erhielten Unterstützung durch die Rote Hilfe.

Persönlichkeiten wie der Physiker Albert Einstein, die Künstler Käthe Kollwitz und Heinrich Vogeler oder die Schriftsteller Heinrich und Thomas Mann sowie Kurt Tucholsky solidarisierten sich offen mit der Roten Hilfe, sie unterzeichneten Amnestieaufrufe oder gehörten dem Kuratorium der Rote-Hilfe-Kindererholungsheime in Worpswede und Elgersburg an. Die Organisation kämpfte für ein Asylrecht und gegen den Abtreibungsparagrafen 218. Im Rahmen der 1922 in Moskau unter Vorsitz von Clara Zetkin gegründeten Internationalen Roten Hilfe beteiligte sich die RHD an Kampagnen wie jener gegen die Hinrichtung der Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti 1927 in den USA. Unter dem Faschismus leisteten Rote Helfer und vor allem Helferinnen vielfältigen Widerstand.

In der Nachfolge der 68er-Bewegung wurde in der Bundesrepublik der Rote-Hilfe-Gedanke wieder aufgegriffen. Hier liegen die Wurzeln des noch heute bestehenden Rote Hilfe e. V., der als strömungsübergreifende linke Schutz- und Solidaritätsorganisation mittlerweile mehr als 12 000 Mitglieder zählt. Deren Bundesvorstand erklärte im April 2021 zum Geburtstag der Vorläuferorganisation: »Unsere Solidarität ist und bleibt eine Waffe - nun bereits ein Jahrhundert lang und auch darüber hinaus.«

Unser Autor ist Historiker und promovierte zur Roten Hilfe Deutschlands. Er ist Vorsitzender des Hans-Litten-Archivs e. V., das sich mit den verschiedenen Rote-Hilfe-Vereinigungen befasst.

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