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»I Love You« auf Norwegisch

Spaß und Verantwortung

  • Olga Hohmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Ich habe nie genau verstanden, worum es sich bei der »Sprechakttheorie« oder auch »Sprechhandlungstheorie« genau handelt. Doch manchmal wird einem die Handlungsmacht der Sprache schlagartig bewusst. Vor allem bei juristischen Vorgängen oder in der politischen Öffentlichkeit. Aber auch im Privaten können einfache Sätze in kürzester Zeit eine neue Realität herstellen.

Bei Liebeserklärungen ist das offensichtlich. Es gibt unzählige Lieder und Geschichten, in denen Menschen beschreiben und analysieren, warum es eine so unlösbare Aufgabe oder eine besonders heikle Herausforderung zu sein scheint, »die drei Worte« zu sagen - und gleichzeitig unerträglich und unmöglich, sie nicht zu sagen. Eine Liebeserklärung übersetzt ein individuelles Gefühl in eine universelle Realität, »die drei Worte« haben fast den Charakter eines Vertragsabschlusses. Die Welt mindestens zweier Menschen wird eine andere, weil man jemandem offiziell seine Liebe gesteht. In dieser Eigenschaft hat eine Liebeserklärung fast etwas von einer Profanisierung - ein heiliges Objekt (die Liebe selbst) wird rituell »entsakralisiert«, zu etwas Weltlichem erklärt.

Spaß und Verantwortung
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist, und versucht es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen.

Dass die Sprache der Liebe immer eine gewisse Religiosität (oder auch allgemeiner: eine magische Qualität) mit sich bringt, fiel mir bei einer Norwegenreise einmal besonders stark auf. Einen Tag vor meiner Abreise nach Berlin bat ich meinen dortigen Mitbewohner, mir ein paar Phrasen oder Worte beizubringen, die ich in dem Monat meines Aufenthalts versäumt hatte zu lernen. Die für mich nordisch-archaisch klingende Sprache hatte mich eingeschüchtert - erst am letzten Abend traute ich mich, die ungewohnten Laute nachzuformen. Ich fragte also meinen Mitbewohner H., mit dem ich mich in der Zeit in Oslo eng angefreundet hatte, ob er mir die üblichen »Fremdsprachenphrasen« vorsprechen könnte - damit ich sie, nachahmend, lernen und meine Freund*innen in Berlin damit beeindrucken könnte: Hi, bye, how are you, I love you.

Als ich diese Liste ganz selbstverständlich vorschlug, sah ich schon, dass sich ein leicht schockierter Ausdruck in sein Gesicht schlich. Er brachte mir Stück für Stück die von mir vorgeschlagenen Worte und Wortgruppen bei, aber als er zum Ende kam, »I love you«, schaute er mir mit ganz ernstem Ausdruck ins Gesicht und sagte: »Das kann ich nicht aussprechen.« Ich lachte, denn ich dachte, er würde scherzen. Als ich aber merkte, dass es ihm ernst zu sein schien, fragte ich nach, was es mit der Unaussprechlichkeit auf sich hätte. Er erklärte mir, dass er den Satz im Norwegischen nicht sagen könne, »ohne ihn zu meinen«: »Wenn ich dir sage: I love you, dann tritt ein, was ich gesagt habe«. Ich war irritiert und belustigt und versuchte den ganzen Abend über, ihm charmant stichelnd den Satz zu entlocken - ohne Erfolg. Er versuchte es sogar das eine oder andere Mal, aber die Worte wollten seinen Mund nicht verlassen - stattdessen, immer wieder: der leicht erschreckte und todernste Ausdruck in seinen Augen.

Meine Motivation, »I love you« auf Norwegisch sagen zu können, ist bis heute gering - stattdessen bin ich vor allem beeindruckt von der Magie, die dieser Satz in jener archaisch klingenden Sprache zu haben schien. Annehmend, dass es sich dabei aber vor allem um einen Spleen meines Osloer Mitbewohners H. zu handeln schien, hatte ich kurz nach meiner Rückkehr in Berlin einigen norwegischen Freund*innen die Anekdote in leicht süffisantem Ton erzählt - die Reaktion war bei allen dieselbe: Jener ernste Ausdruck im Gesicht und die Bestätigung, dass der Satz unaussprechlich wäre, es sei denn, man wolle durch ihn die in ihm deklarierte Aussage realisieren.

So sonderbar mir diese (norwegische?) Eigenart aber auch vorkam: Natürlich ist es kein Zufall, dass ich den Satz »I love you« in diesem Artikel in seiner englischen Übersetzung verwendet habe. Auch ich habe nämlich Skrupel, ihn in meiner Muttersprache, ganz nebensächlich, in die Tastatur zu tippen. Wer weiß, ob er dann nicht vielleicht wahr wird - und an wen er sich richtet?

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