Werbung

Von Quatschdenken bis zu verständlichem Protest

Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie fanden im ersten Quartal 2021 in Brandenburg mehr als 200 Versammlungen statt

Auf dem Alten Markt in Potsdam standen schon leere Stühle oder auch Koffer. Vor dem Landtag machten so Gaststätten und Hotels beziehungsweise Reisebüros auf ihre Lage aufmerksam. Für diese Branchen sind die Corona-Maßnahmen existenzbedrohend. Es dreht sich allein bei den Reisebüros in Brandenburg um 1,5 Milliarden Euro Jahresumsatz. Daran hängen 3500 Arbeitsplätze.

Zeitungen haben über diese Aktionen berichtet. Im Zentrum des Medieninteresses stehen aber weniger berechtigte Proteste dieser Art, sondern eher die Querdenker, zumal dann, wenn es bei deren Demonstrationen zu Verstößen gegen das Versammlungsrecht oder gar zu Zusammenstößen mit der Polizei kommt. So jedenfalls nimmt es die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke) wahr. Zusammen mit ihrem Fraktionskollegen Andreas Büttner fragte sie schon mehrfach quartalsweise bei Innenminister Michael Stübgen (CDU) ab, welche Versammlungen es im Zusammenhang mit der Pandemie gegeben hat, ob sie von AfD, NPD oder anderen Parteien des rechten Spektrums angemeldet wurden, welche Politiker dort Reden gehalten haben, ob antisemitische oder rassistische Bemerkungen gemacht worden sind und so weiter.

Auf viele dieser Fragen gibt es keine detaillierten Antworten. Zwar weiß man beispielsweise, dass hier und da die AfD aktiv geworden ist. Doch die Polizei fragt, wenn jemand eine Demonstration anmeldet, nicht die Parteizugehörigkeit ab. Sie erfasst auch nicht, wer dann dort gesprochen hat. Der Verfassungsschutz weiß es vielleicht, verrät es aber nicht, sagt Johlige.

So kommt, was das eigentliche Interesse der Abgeordneten Johlige und Büttner betrifft, nicht viel Substanzielles heraus bei der jetzt erfolgten Beantwortung ihrer Kleinen Anfrage Nummer 1229 durch Innenminister Stübgen, obwohl die Drucksache immerhin 17 Seiten umfasst. Seitenlang aufgelistet sind 233 Versammlungen im Zusammenhang mit Corona im Zeitraum 2. Januar bis 31. März 2021, von denen zwei allerdings kurzfristig abgesagt worden sind. Die Termine verteilen sich relativ gleichmäßig über das gesamte Bundesland. 19 Versammlungen waren nicht angemeldet, zwei weitere in Borkheide und in Brandenburg/Havel waren zuvor sogar ausdrücklich untersagt worden, fanden aber dennoch statt. Mahnwachen, Schweigemärsche, Kundgebungen und Autokorsos hat es gegeben. In 28 Fällen registrierte die Polizei Regelverstöße. Mal hatte eine Person nicht wie vorgeschrieben eine Maske getragen, mal waren es bis zu 70 Personen. Außerdem wurden in 30 Fällen Strafanzeigen gestellt, meistens wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, aber auch wegen Beleidigung, Körperverletzung und wegen Widerstands gegen Polizisten.

Die Teilnehmerzahlen schwanken zwischen zwei und 199, bei den Autokorsos liegen sie höher, einmal sind da 450 Teilnehmer vermerkt, die sich in insgesamt 275 Autos beteiligten. Enthalten in der Auflistung sind auch Gegenkundgebungen. So am 20. März in Potsdam einmal unter dem Motto »Gemeinsam gegen Corona, Quatschdenken und Nazigeschwurbel« und zusätzlich noch unter dem Motto »Kein Raum für Verschwörungserzählungen«. In Brandenburg/Havel, wo es wie etwa auch in Strausberg immer wiederkehrende Proteste gegen die Corona-Beschränkungen gibt, wurde für den 27. März auch eine Gegenkundgebung vermerkt. In Rüdersdorf gab es am 22. Januar eine Kundgebung gegen den Lockdown, aber auch eine Menschenkette gegen die »Vereinnahmung der Pandemie von Rechts«.

Ebenfalls quartalsweise fragt Johlige nach Naziaufmärschen. Da sinken die Zahlen. Die Politikerin vermutet, das liege daran, dass sich die Neonazis nun bei Corona-Protesten herumtreiben. Für ihre These, dass neben der Querdenkerei berechtigte Kritik geäußert wird, finden sich auch Belege, etwa Aktionen von Kosmetik-, Fitness-, und Sonnenstudios, die endlich wieder aufmachen wollen. Johlige sagt: »Die vielen Versammlungen beweisen, dass wir in einer Demokratie leben, obwohl auf diesen Versammlungen manchmal etwas anderes behauptet wird.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal