Auf dem Arbeitsmarkt steckt der Teufel im Detail

Die Zahl der erwerbslosen Brandenburger ist gesunken, aber die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist deutlich gestiegen - auch in Berlin

»Der Arbeitsmarkt in Brandenburg hat sich erfreulich standhaft gegenüber den Corona-Belastungen gezeigt«, sagt Ramona Schröder, Regionaldirektionschefin der Arbeitsagentur. Mehr als 22 000 freie Stellen und damit vier Prozent mehr als noch vor einem Jahr gebe es im Bundesland - im Handwerk, in der Pflege, auf dem Bau, in der Energietechnik, im Maschinenbau ...

In Berlin liege die Arbeitslosenzahl noch zwei Prozent über dem Vorjahreswert, in Brandenburg sei die »Nulllinie« bereits erreicht und es gehe weiter nach unten. Die Coronakrise scheine, was die Arbeitslosigkeit betrifft, in Brandenburg schon überwunden, sagt Schröder am Dienstag. Auch Köche und Kellner können, so hofft sie, im Sommer an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Die deutschen Urlauber werden die Gaststätten und Hotels füllen. In Berlin dagegen werde das wohl noch eine Weile dauern, weil die Branche dort stark von Großveranstaltungen, von Messen und von Touristen aus dem Ausland abhängig sei. Dieses Geschäft komme vermutlich nicht so schnell in Gang.

Arbeitsmarktdaten

Die Coronakrise hat den Arbeitsmarkt in der Hauptstadt weiter fest im Griff: Die Zahl der Arbeitslosen ist im Juni erneut auf 209 360 gestiegen. Das waren 8719 Männer und Frauen mehr als im Mai und 56 745 mehr als im Juni des vergangenen Jahres, wie die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit am Mittwoch mitteilte. Die Arbeitslosenquote wuchs, verglichen mit Mai, um 0,5 Punkte auf 10,5 Prozent. Sie liegt damit 2,7 Punkte über dem Vorjahreswert und ist weiterhin zweistellig. »Der Arbeitsmarkt im Juni, in dem sonst Arbeitslosigkeit zurückgeht, ist besonders in Berlin weiter unter Druck«, sagte der Leiter der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit, Bernd Becking. Ohne die Kurzarbeit dürfte die Situation allerdings deutlich schlechter aussehen. Inzwischen kommen nur noch wenige neue Betriebe hinzu, die Kurzarbeit anzeigen. Im Juni hat ihre Zahl um 1100 Unternehmen zugenommen. dpa/nd

Die Arbeitsagentur erwartet, dass die Arbeitslosenzahl in Brandenburg in Zukunft um zehn Prozent sinken wird, in Berlin dagegen nur um ein bis zwei Prozent. Das liegt daran, dass in den nächsten zehn Jahren mehr als 200 000 Brandenburger und damit jeder vierte Beschäftigte im Land in Rente gehen wird, während nicht so viele Schulabgänger nachrücken. Zwar wird auch eine steigende Zahl von Jobs prognostiziert. Doch das fällt kaum ins Gewicht. Der Zuwachs soll lediglich 0,7 Prozent betragen.

Weil viele von den 200 000 Menschen, die sich dem Rentenalter nähern, jetzt schon älter als 60 Jahre sind, wird ein enormer Fachkräftemangel bereits in Kürze befürchtet. »Fachkräfte können wir immer noch nicht im Supermarkt aussuchen. Auch der Onlinehandel hilft uns nicht«, erklärt Schröder. Das beste Mittel zur Deckung des Fachkräftebedarfs bleibe die Ausbildung. Auf 100 Bewerber kommen in Brandenburg 117 Lehrstellen, in Berlin sind es lediglich 78. Berliner Jugendlichen empfiehlt Schröder deshalb, sich bei Bedarf in Brandenburg nach einem Ausbildungsplatz umzusehen. Die Zugverbindungen dorthin seien ja recht gut.

Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) bedankt sich bei den Unternehmen, die »gegen den Strom schwimmen« und sich entschieden haben, gerade jetzt in der Krise damit anzufangen, Lehrlinge auszubilden. Er macht sich Sorgen, ob die Mehrheit der Bevölkerung verantwortungsbewusst mit der Lockerung der Corona-Maßnahmen umgeht und nicht gleich »über die Stränge schlägt«. Wenn die Infektionszahlen deswegen wieder steigen, müssten die Maßnahmen wieder verschärft werden, und dies wäre Gift für die Wirtschaft. »Ich hoffe, dass meine Sorge unbegründet ist«, sagt Steinbach.

Alexander Schirp von den Unternehmensverbänden Berlin-Brandenburg erklärt fast zeitgleich: »Wir brauchen jetzt zügig weitere Öffnungen.«

»Es ist gut, dass sich eine saisonal typische Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt zeigt«, meint Brandenburgs Linksfraktionschef Sebastian Walter. »Jedoch steckt der Teufel im Detail.« Wenn man sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen anschaue, so habe sich diese nicht nur verfestigt, sie sei im Vergleich zum Vorjahr sogar um 21,3 Prozent gestiegen. Dies sei eine »inakzeptable Entwicklung«, der entschieden begegnet werden müsse. Der Schwerpunkt der Landespolitik müsse auf der Förderung von Aus- und Weiterbildung liegen, findet Walter.

DGB-Landesbezirkschef Christian Hoßbach fordert: »Jugendliche dürfen nicht ohne Perspektive in die Ferien entlassen werden.«

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