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  • Joe Biden und Wladimir Putin

Großer Gipfel, kleine Erwartungen

Russland blickt mit Zurückhaltung auf das Gipfeltreffen zwischen Putin und Biden. Doch ein gemeinsames Kommuniqué ist schon in Arbeit

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 5 Min.

Er will Moskau entschiedener entgegentreten, Cyberattacken, Vergiftungen und Wahleinmischungen nicht mehr hinnehmen und fordert die Freilassung von Kremlkritiker Nawalny: Spätestens seit Joe Bidens außenpolitischer Grundsatzrede vom Januar ist klar: Unter dem neuen amerikanischen Präsidenten weht ein rauerer Wind in Richtung Moskau. Doch dann schlug Biden, der den russischen Präsidenten Wladimir Putin auch schon als »Mörder« bezeichnete, am 13. April - mitten in der Krise um den russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze - ein Gipfeltreffen mit Putin vor.

Moskau reagierte zunächst mit großer Zurückhaltung. Lange ließ der Kremlchef offen, ob er die Einladung zum persönlichen Gespräch annimmt. Eine Entscheidung könne erst auf Grundlage einer detaillierten Analyse über den Sinn eines solchen Gipfels getroffen werden, teilte Kremlsprecher Dmitri Peskow mit. Ganze 43 Tage - mehr als sechs Wochen - ließ sich der Kreml für diese Prüfung Zeit. Dann willigte er ein.

Allerdings hegt man in Moskau keine großen Erwartungen an den Gipfel. »Wir geben uns keinerlei Illusionen hin und versuchen nicht, den Eindruck zu erwecken, dass es irgendeinen Durchbruch, irgendwelche historisch schicksalhaften Entscheidungen geben wird«, dämpfte Außenminister Sergej Lawrow die Erwartungen. Gleichwohl sei es »natürlich wichtig«, dass es ein Treffen zwischen den beiden führenden Atommächten gebe, bekräftigte der russische Chefdiplomat.

Wie bei der Gipfelzusage ließ sich Moskau auch bei der Klärung der zu besprechenden Themen viel Zeit. Es gebe noch keine konkrete Tagesordnung, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow Anfang Juni. Dann ergriff Präsident Putin das Wort. Er wolle über die Verbesserung der Beziehungen zwischen beiden Ländern reden. »Ich gehe davon aus, dass wir versuchen müssen, Wege zur Regulierung dieser Beziehungen zu finden«, erklärte Putin am Freitag vor einer Woche auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg. Weiterhin wolle er über strategische Stabilität, die Beilegung internationaler Konflikte, Abrüstung sowie den Kampf gegen Corona und Terrorismus sprechen. Auch Umweltfragen sollten Thema werden, ergänzte der russische Präsident. »Das ist so etwa die Tagesordnung«.

Doch was steckt hinter diesen abstrakten Schlagwörtern? »Die amerikanischen Sanktionen werden jedenfalls nicht zurückgenommen«, erklärte Alexej Wenediktow in einer Nachbesprechung von Putins Ankündigung. Konkret werde es neben den bilateralen Beziehungen um die Konflikte um Iran, Nordkorea und Afghanistan sowie das auseinanderbrechende russisch-amerikanische System der Rüstungskontrollen gehen, so die Analyse des Chefredakteurs vom Radiosender Echo Moskwy. Außerdem würden die Präsidenten die aktuelle Situation in Belarus und der Ukraine diskutieren. Auch in der russischen Presse werden die Erfolgsaussichten des Gipfeltreffens zurückhaltend bewertet. Die Chancen auf Verständigung seien begrenzt, Übereinkünfte unwahrscheinlich, schreibt etwa der frühere Außenminister Igor Iwanow in der Regierungszeitung »Rossijskaja Gaseta«. Angesichts der faktisch abgerissenen Beziehungen zu Amerika sei jedoch allein die Durchführung des Gipfels schon ein positives Zeichen. »Die Wiederaufnahme des politischen Dialogs auf höchster Ebene bietet Möglichkeiten für eine praktische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern in vielen wichtigen Fragen der internationalen Sicherheit.«

Zwar sehen russische Kommentatoren keine Anzeichen für eine Wiederauflage der amerikanischen Neustartpolitik, mit der Ex-Präsident Barack Obama 2009 das Verhältnis zu Moskau verbessern wollte. Jedoch verweisen Experten wie Pawel Podlesnij vom Institut für Amerika- und Kanadaforschung auf einige Zugeständnisse Bidens an die russische Adresse. So habe der amerikanische Präsident das atomare Abrüstungsabkommen New Start mit Russland bedingungslos verlängert, seinen Widerstand gegen die deutsch-russische Pipeline Nord Stream 2 aufgegeben und während der jüngsten Krise um die Ukraine - als Russland bis zu 100 000 Soldaten an der ukrainischen Grenze zusammenzog - zurückhaltend taktiert. Damalige Kiewer Forderungen nach einer schnellstmöglichen Nato-Mitgliedschaft ließ Washington mit allgemeinen Solidaritätsbekundungen abtropfen und verwies auf die Voraussetzungen für einen Nato-Beitritt, zu denen etwa auch die Korruptionsbekämpfung gehört. »Das hat die ukrainische Regierung sehr ernüchtert«, schreibt Podlesnij in der »Argumenty i Fakty«. Kiew sei daraufhin die Lust am Krieg mit Russland vergangen. Auch dem ukrainischen Drängen auf ein Treffen zwischen Präsident Wolodymyr Selenskyj und Joe Biden noch vor dem russisch-amerikanischen Gipfel habe Washington nicht nachgegeben - und den ukrainischen Staatschef stattdessen für den Sommer ins Weiße Haus eingeladen. All dies seien Signale, dass Biden zumindest den Druck aus den angespannten Beziehungen nehmen wolle, so Podlesnij. Weitere Analysten unterstützen diese Sichtweise mit dem Verweis auf Bidens kürzlichen Verzicht auf Kritik am Kreml nach einem offenbar aus Russland kommenden Hackerangriff auf eine US-Pipeline. Auch habe das Pentagon im Mai erklärt, Russland nicht als Feind einzustufen. Allerdings stehe hinter diesen Schritten nicht etwa eine neuentdeckte Affinität zu Russland, so die Kommentatoren. Die Amerikaner hätten vielmehr erkannt, dass eine weitere Eskalation Moskau in die Arme von Peking - Amerikas größtem Rivalen - treiben würde. Der Gipfel gebe nun die Hoffnung, dass eine weitere Zuspitzung der bilateralen Beziehungen gestoppt werden könne.

Vor dem Gipfel sendete Russland auch deutliche Signale der Stärke. Nach einer Ankündigung Bidens, Menschenrechte zu thematisieren, kündigte das russische Militär die Stationierung von 20 neuen Militäreinheiten an der Westgrenze an . Auch die sogenannten »Entdollarisierung« - eine Streichung des Dollars aus dem Nationalen Vermögensfonds Russlands - sowie die Einstufung der Organisationen des inhaftierten Kremlkritikers Nawalny als »extremistisch« gelten als Signale an Amerika, sich nicht einzumischen.

Unterdessen wurde bekannt, dass Moskau und Washington bereits an einem gemeinsamen Gipfel-Kommuniqué arbeiten sollen. Nach Informationen des »Kommersant« schleifen Unterhändler beider Seiten seit Tagen an den Formulierungen des Dokuments, welches gemeinsame Sichtweisen und Punkte der Übereinstimmung beider Seiten auflisten soll. »Das wäre ein sehr gutes Zeichen«, so Alexej Wenediktow. »Falls es klappt.«

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