Der gute Wille ist weiblich

Zirkus Europa

  • Lesedauer: 3 Min.

Man ist ja hin- und hergerissen: Zum einen ist es bei dieser EM wieder mal bizarr ungerecht. Schon die Prämien, die die Uefa an die beteiligten Nationen ausschüttet, betragen 331 Millionen Euro. Wie ist eigentlich zu begründen, dass ein wichtiger Teil der Mitwirkenden vor Ort überhaupt nicht fürs Engagement entlohnt wird - die Volunteers?

Andererseits, sie heißen ja auch so: Volunteers, englisch für Freiwillige. Entspricht es nicht ihrem freien Willen, während dieser viereinhalb Turnierwochen auszuhelfen? Sie stehen an Metrostationen und Stadioneingängen in Sevilla, Baku, London oder St. Petersburg und weisen mit Schaumstoffhänden den Weg in die EM-Arenen. Sie bitten die Fans per Megafon in sieben Sprachen, bitte 1,50 Meter Abstand einzuhalten. Sie sitzen an einsamen Infotischen und versuchen, Stadtpläne an die Gäste zu bringen. Wenn es manchem - bezahlten - Organisator an simpelsten Englischkenntnissen mangelt, springen sie in die Bresche und übersetzen. Ein Fan braucht ein Pflaster? Bitte, da geht’s zu den Sanitätern!

Auch in St. Petersburg sind die Volunteers in ihren türkisblauen Trainingsanzügen unübersehbar, wenn sie in Dreiergrüppchen Stellung beziehen. Meist sind es Studentinnen - das »I« ist hier bewusst kleingeschrieben -, viele von der staatlichen Wirtschaftsuniversität SPGEU. »Schlümpfe« werden sie von den Einheimischen wegen der blauen Uniformen spaßeshalber genannt: 1200 hat die Metropole in Innenstadt und Fanzonen verteilt, für die Uefa sind noch einmal 1200 an der EM-Arena im Einsatz. Und das alles für umme: Abgesehen von Monatsfahrkarte, Rucksack sowie dem schlumpfigen Trainingsanzug, den die Freiwilligen behalten dürfen, ist ihr Lohn ein feuchter Händedruck in Form eines Zertifikats, das ihnen die Teilnahme am Volunteer.Programm bescheinigt. Man müsste die Volunteers die Gutwilligen nennen. Leider gibt es dafür keinen weiblichen Begriff.

Am Dienstag hielt die Stadt eine Pressekonferenz ab, auf dem Podium drei Männer und eine hier bekannte Sängerin namens IOWA, die angeblich auch Freiwillige ist, zumindest wird sie für die Volunteers auftreten. Die Herren berichten: Zahlen, Projekte, ganz viel Eigenlob. Zeit für »nd«, sich mit einer Zwischenfrage auf die Seite der Frauen zu schlagen: »Wieso sind unter den Volunteers fast nur Frauen zu finden?« Ein kurzer Moment Stille, konsternierte Blicke, Lachen. »Ja, stimmt, 89 Prozent der Volunteers sind Frauen«, schmunzelt einer der Herren. »Tja, warum?«, sinniert er. Am EM-Ort Baku sei das Verhältnis 70:30 pro Männer, andernorts 50:50. Er grübelt. Und antwortet am Ende mit einem Witzchen, das vermutlich mehr über das Verhältnis zwischen Frauen und Männern in Russland aussagt, als ihm lieb sein kann: »Nun, mein Herr, nette junge Frauen - da können Sie ja wohl kaum etwas dagegen haben?«

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