Trendiger Treff

zirkus europa

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein typischer Tag während der Europameisterschaft beginnt für Julianus Torcom gegen 14 Uhr. Passt es mit den Getränkevorräten? Sind die Servicekräfte alle da? Ist zwischen den Tischen ordentlich gefegt? Und vor allem: Läuft die Großbildleinwand? Der 30-Jährige ist smarter Macher und guter Geist des Restaurant-Bistro-Bar-Betriebs vom Kiosk Garden, einem der trendigsten Treffs fürs Public Viewing in Budapest. Als die ungarische Nationalelf spielte, waren alle 500 Sitzplätze vorab reserviert, sonst ist eigentlich immer noch irgendwo was frei. Notfalls in der letzten Reihe auf den Holzbänken. Und wer noch später kommt, setzt sich einfach auf die angrenzende Rasenfläche.

Wem am Fuße der Donaubrücke, die den Stadtteil Buda zwischen Burgberg und Gellertberg mit dem Platz des 15. März in Pest verbindet, beim Fußballgucken nicht das Herz aufgeht, der ist selber schuld. Hier gibt Budapest ein anderes Bild als jenes ab, das gerade ganz Ungarn ob der homophoben Gesetzgebung durch die Regierung große Kritik einbringt: offen und herzlich.

Die Bedienungen vom Kiosk Garden sind meist Studenten, reich wird niemand hinter dem großen Tresen. Rund 1500 Forint, umgerechnet keine fünf Euro, gibt es pro Stunde. Plus Trinkgeld. Ein Caesar-Salat kostet 1950 Forint, die Pizza Margherita 2450 Forint.

Ums Geld geht es nicht, wenn Chefbarkeeper Torcom von dem erzählt, was ihm Antrieb ist. Sein Lebenselixier seien die Menschen, die er bedient. Er hat immer ein Lächeln auf den Lippen. Seit er volljährig ist, arbeitet er in der Gastronomie. Er hat in Budapest gute und schlechte Zeiten erlebt - die Pandemie war definitiv eine ganz schlechte. Zwar gab es ein bisschen staatliche Unterstützung, und die Pacht für das Freiluftareal wurde jetzt für die Zeit der EM erlassen, aber er musste im Winter und Frühjahr für Lieferdienste durch die Stadt kurven. Der Sommer hat einen Teil der Gäste zurückgebracht, aber noch immer sind viele Restaurants wegen der Pandemie geschlossen.

Von den Spielen bekommt er meist nur die Tore mit, in der Wiederholung. Bei den großen Partien am Abend, wenn der Andrang bei untergehender Sonne am größten ist, dann schafft er nicht mal das. Sein Publikum wäre ohne die EM nicht so international, aber in Budapest leben viele Auswärtige - sie kommen gerne hierher. Auch Schauspieler und Sportler. Besonders gerne unterhält er sich mit Ausländern, sagt er im besten Englisch.

Nach der EM sollen vielleicht auch die Olympischen Spielen hier übertragen werden. Julianus Torcom ist Sportfan: »Ich habe fast jeden Sport probiert, wo ein Ball im Spiel ist - Tischtennis, Fußball, Basketball, Handball.« Mittlerweile ist er nur noch beim Radfahren täglich aktiv, weil er zu oft verletzt war. Das letzte Mal brach er sich den Fuß, als er, unvorsichtig und leicht angetrunken, von einer Mauer sprang. »Die war höher als ich dachte«, erzählt er und lacht. Seinen Charme spürten am Wochenende auch viele Niederländer, die die gelockerten Einreiseregeln für einen Achtelfinaltrip nach Budapest nutzten. Julianus Torcom empfängt die »Oranjes« mit offenen Armen. »Ich war schon oft in Amsterdam. Ich mag den Lifestyle.« Man kann sich gar nichts anderes vorstellen.

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