Die Schicksalswahl am Dnestr

Moldau vor der vorgezogenen Parlamentswahl

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 5 Min.

Schluss mit Korruption und Willkür, mehr Transparenz und eine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit: Als Maia Sandu im vergangenen November zur Präsidentin der Republik Moldau gewählt wurde, lasteten große Erwartungen auf ihr. Viele Moldauer erhofften sich von der ersten Frau an Moldaus Staatsspitze eine politische Wende und die endgültige Abkehr von der Politik der korrupten Eliten, die das Land seit der Unabhängigkeit 1991 prägen und die Innenpolitik mit Dauerdebatten um den geopolitischen Kurs zwischen der EU und Russland lahmlegen. Sandu, die als prowestlich gilt, steht auch für die Sehnsucht vieler Moldauer, irgendwann zur EU zu gehören.

Doch statt des erhofften Aufbruchs folgten lähmende Monate des politischen Stillstandes und erbitterter Grabenkämpfe. Sandu und ihre liberaldemokratische Partei Aktion und Solidarität (PAS) fehlten im Parlament die notwendigen Stimmen, um die angestrebten Veränderungen anzustoßen. Zankereien mit der prorussischen Parlamentsmehrheit um die Sozialisten der Republik Moldau (PSRM) von Expräsident Igor Dodon, den Sandu in der Stichwahl mit 58 Prozent der Stimmen besiegt hatte, waren an der Tagesordnung. Auch mit der nach ihrem Wahlsiegzurückgetretenen Regierung focht die Präsidentin heftige Kämpfe aus. Unterdessen grassierte die Coronapandemie und brach die Wirtschaft des verarmten Landes vollends ein.

Mitte April wagte Sandu dann die Flucht nach vorn, löste das Parlament auf und ordnete vorgezogene Parlamentswahlen für den 11. Juli an. Ihre Hoffnung: Wie zuvor Präsident Wolodymyr Selenskyj in der Ukraine wollte sich Sandu mit vorgezogenen Neuwahlen die benötigte Mehrheit beschaffen, um ihre Reformen im Parlament voranzutreiben. Seitdem tobt in dem kleinen Staat mit rund dreieinhalb Millionen Einwohner ein erbitterter Wahlkampf. Politische Beobachter sprechen von einer Schicksalswahl, die über Moldaus künftigen Kurs gegenüber der EU und Russland entscheide.

Moldaus zentrale Wahlkommission registrierte offiziell 17 Parteien und Wahlbündnisse, die sich um den Einzug ins Parlament bewerben. Doch die entscheidende Schlacht tobt zwischen Sandus PAS und den vom früheren Präsidenten Igor Dodon kontrollierten Sozialisten (PSRM).

Um Sandu zu stoppen, gründete dieser Mitte Mai mit dem früheren Präsidenten Wladimir Woronin von der Partei der Kommunisten Moldaus (PKRM) ein gemeinsames Wählerbündnis. Für die meisten Moldauer kam dies vollkommen überraschend: In den vergangenen zehn Jahren waren sich Dodon und sein politischer Lehrmeister Woronin spinnefeind und tauschten in der Öffentlichkeit höchstens offene Beleidigungen aus. Doch um die PAS aufzuhalten, überwanden sie ihr Zerwürfnis vorerst. Moldaus Souveränität sei angeblich bedroht, begründeten die nominell linken Politiker ihre Zusammenarbeit. Äußere Kräfte wollten das Land zu einem Aufmarschplatz für Militärmanöver machen, die Identität des Moldaus auslöschen und dem Volk antichristliche und familienfeindliche Werte aufbinden. Wahlclips zeigen Bilder von rollenden Nato-Panzern, die das Land angeblich überrollen wollen. Andere Wahlwerbefilme zeichnen das Szenario eines drohenden Sittenverfalls, militante Schwule bedrohten angeblich die traditionelle Familie. Expräsident Woronin warnte öffentlich vor »dunkelhäutigen Babys«, sollte die Nato bis nach Moldau kommen. Auch vor Sandus Privatleben soll das Wahlbündnis nicht zurückgeschreckt sein. Ende Mai beschuldigte die Präsidentin das von den Sozialisten geführte Innenministerium, sie und politische Weggefährten zu beschatten.

Dass der Machtkampf zwischen beiden Seiten auch unter staatlichen Institutionen ausgetragen wird, zeigt sich auch beim Vorstoß der zentralen Wahlkommission, neue Wahllokale in den Städten Bender und einem Stadtteil von Dubossary im von Moldau abtrünnigen Transnistrien zu errichten. Bender ist der Sitz der in Transnistrien stationierten russischen Friedenstruppen. Die Wahllokale würden somit auf Territorium errichtet, das nicht von Moldau kontrolliert werde, monierten Kritiker. Ein transparenter Urnengang könnte daher nicht gewährleistet werden, Fälschungen seien wahrscheinlich. Dies sah auch die OSZE in einem Bericht so. Hinter dem Vorgang stehe offenbar der Versuch der Sozialisten, die Stimmen prorussischer Stimmen abzugreifen, analysiert die russische Nesawissimaja Gazeta. In Transnistrien, das sich Anfang der 1990er nach einem kurzem Bürgerkrieg von Moldau lossagte, doch völkerrechtlich noch immer zu diesem gehört, werde traditionell für den prorussischen Kandidaten - in diesem Fall Igor Dodon und seine Sozialisten gestimmt. Einwohner Transnistriens mit moldauischer Staatsbürgerschaft dürfen in rund 40 Wahllokalen abstimmen.

Eine weitere Debatte entspann sich um das Wahlrecht für die Diaspora. Tausende Moldauer verdienen ihr Geld als Bauarbeiter, Erntehelfer und Altenpfleger in Westeuropa und stimmen traditionell für westlich orientierte Kandidaten. Das Außenministerium empfahl daher - im Sinne Sandus - die Zahle der Wahllokale in der EU, Großbritannien und den USA von 134 auf 191 zu erhöhen. Dies würde der Präsidentin rund 120 000 Stimmen mehr bescheren, rechneten Experten vor. Doch die Zentrale Wahlkommission stellte sich quer und stellte nur sieben neue Stationen in Aussicht. Gegen die Entscheidung demonstrierten viele Moldauer im Ausland, unter anderem in Frankfurt am Main. Ende Juni verpflichtete das moldauische Verfassungsgericht die zentrale Wahlkommission, der Empfehlung des Außenministeriums zu folgen.

Dass der Urnengang auch eine geopolitische Seite hat, zeigt ein 600-Millionen-Euro-Konjunkturpaket, das die EU im Juni für Moldau verabschiedete. Offizielle soll dieses dem Land bei der Überwindung der Folgen der Coronaepidemie helfen. Am darauffolgenden Tag kündigte die Duma an, im Falle einer politischen Krise Chisinau ebenso einen Kredit zur Verfügung zu stellen. Moskau unterstützte Moldau bereits in der Vergangenheit mit rund 200 Millionen Euro und setzt im Wahlkampf auf das Parteienbündnis von Altpräsident Igor Dodon. Dieses kann Umfragen zufolge auf etwa ein Drittel der Wählerstimmen rechnen. Der PAS von Präsidentin Sandu werden 43 Prozent prognostiziert.

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