Abtauchen für den Naturschutz

900 Taucher untersuchen ehrenamtlich den Zustand der Seen

Silke Oldorf (l.) David Wortmann steigen am Dienstagmorgen in den Kalksee von Binenwalde (Ostprignitz-Ruppin).
Silke Oldorf (l.) David Wortmann steigen am Dienstagmorgen in den Kalksee von Binenwalde (Ostprignitz-Ruppin).

»Wenig Pflanzen«, bedauert David Wortmann. »Und sehr schlechte Sicht«, ergänzt Silke Oldorf. Die beiden Mitglieder des Naturschutzbundes (Nabu) tragen noch ihre Tauchausrüstung, sind gerade aus dem Kalksee von Binenwalde gestiegen. Das Fleckchen Binenwalde, Dorf wäre zu viel gesagt, gehört zur Stadt Neuruppin, liegt aber 20 Kilometer entfernt im Norden der Kommune.

In Neuruppin selbst hat Grünen-Bundestagskandidat Maximilian Kowol den Ruppiner See direkt vor der Tür, sagt aber: »Der Kalksee ist eigentlich der schönste See von Neuruppin. Ich bin oft hier zum Baden.« Kowol wundert sich allerdings, dass einerseits immer zum Saisonbeginn über die ausgezeichnete Wasserqualität berichtet wird und andererseits vom schlechten Zustand der Seen in Brandenburg die Rede ist.

Der beim Nabu beschäftigte Tom Kirschey klärt das am Dienstag vor Ort auf. Nach der Badegewässerrichtlinie der EU wird lediglich eingeschätzt, wo beispielsweise wegen hoher Blaualgenkonzentration das Schwimmen und Planschen gesundheitsschädlich wäre. Es gebe tatsächlich immer weniger total kaputte Seen, erläutert der Biologe. Dagegen werde anhand der EU-Wasserrahmenrichtlinie beurteilt, ob Seen chemisch und biologisch einwandfrei sind und der Wasserspiegel nicht zu niedrig ist. In dieser Hinsicht gehe es immer mehr Seen schlecht. Wie es um den Kalksee bestellt ist, können David Wortmann und Silke Oldorf besser einschätzen, nachdem sie für 15 Minuten abgetaucht sind. Als sie wieder an der Oberfläche auftauchen, hält Wortmann ein Paddel hoch, das er am Seegrund entdeckt hat. »Aber darum geht es hier nicht«, stellt er klar.

Entscheidend ist: Auf acht Meter Tiefe wollten die beiden tauchen, mussten aber schon bei sechs Metern aufgeben, weil das Wasser zu trübe war. Ohne Taschenlampe hätten sie einander gar nicht sehen können. Die letzten Wasserpflanzen haben sie bei 5,20 Meter erblickt.

In welcher Tiefe noch Pflanzen wachsen, ist ein Anzeichen dafür, wie klar ein See ist. Denn die Gewächse brauchen Sonnenlicht für die Fotosynthese. Dringt das Licht nicht so weit durch, wächst auch nichts mehr. Sogenannte Armleuchter-Algen sind ansonsten schon in 60 Metern Tiefe gesichtet worden. Sie lagern Kalk ein und bekommen so eine Art Skelett, um dem Wasserdruck in großen Tiefen widerstehen zu können, erläutert Tom Kirschey während des Tauchgangs am Ufer. Zwei Armleuchter-Algen hat Silke Oldorf am Dienstag im Kalksee gesehen. In einem Netz hat sie andere Pflanzen mit ans Ufer genommen. Raues Hornblatt zum Beispiel, eine Wasserpflanze, die wie eine Flaschenbürste aussieht und dem Experten verrät, dass zu viele Nährstoffe im See sind. Das Raue Hornblatt kann dann noch gedeihen, viele andere Arten irgendwann nicht mehr.
»Summa summarum könnte es besser sein: mehr Pflanzen, mehr Vielfalt«, fasst Wortmann die fachliche Einschätzung über den Zustand des Sees zusammen. Wie man das macht, haben inzwischen bundesweit 900 Taucher in einem speziellen Kurs gelernt, der seit 2016 angeboten wird.

Losgegangen ist es mit dem Naturschutztauchen in den Jahren 2007 und 2008 ganz hier in der Nähe am Stechlin- und am Nehmitzsee, wo sich einst der erste Tauchclub der DDR gründete. Der Naturschutz ließ das Tauchen ab dem Jahr 2000 nicht mehr zu, was den Club furchtbar enttäuschte. Die Mitglieder boten an, bei ihren Tauchgängen Gerümpel aus den Seen zu räumen, um eine Taucherlaubnis zu bekommen. Sie hatten gehört, dass das anderswo gemacht wird. Aber in den Seen im Naturpark gab es kein echtes Problem mit Müll. Was den Naturschützern Kirschey und Oldorf aber einfiel: Die Taucher könnten doch Wasserpflanzen bestimmen und so wichtige Daten zum Zustand der Seen liefern. Dafür könnte die Naturschutzbehörde das Tauchen im Naturpark zulassen. Das war der Anlass für die erste Schulung der Taucher.

Inzwischen haben Kirschey und Oldorf gemeinsam mit Volker Krautkrämer ein Buch dazu verfasst, das für Laien verständlich ist. »Pflanzen im Süßwasser« heißt der Band. Denn was es bis dahin an Literatur gab, dafür musste man mindestens drei Semester Biologie studiert haben, schmunzelt Kirschey. Er hat bei dem Projekt Naturschutztaucher nicht nur die ersten Teilnehmer geschult, sondern von ihnen auch selbst das Tauchen gelernt. Mit Oldorf zusammen gehört er jetzt dem Tauchclub Nehmitzsee an. Wertvoll sind die Erkenntnisse, weil sie anders nicht zu erlangen sind. Von rund 3000 Seen in Brandenburg werden nur 190 große offiziell überwacht.

»Ich bin begeistert, was ihr da macht«, lobt Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, der von den Naturschutztauchern an den Kalksee eingeladen wurde, um sich informieren zu lassen. Am Ende krempelt Kellner die Hosen hoch und stellt sich mit Wortmann und Oldorf für Fotos mit einem Banner der Grünen ins knöcheltiefe Wasser. Schließlich steht Kellner auf Platz zwei der Landesliste der Brandenburger Grünen für die Bundestagswahl am 26. September. Da muss er jede Gelegenheit nutzen, sich in Szene zu setzen, auch wenn es kein klassischer Wahlkampftermin ist.

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