Delta-Variante beendet No-Covid-Strategie

Im Kampf gegen das Coronavirus vollzieht Neuseeland allmählich einen Strategiewechsel

  • Barbara Barkhausen
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit diesem Mittwoch haben die Menschen in Auckland wieder mehr Freizeitmöglichkeiten. So dürfen sich jetzt wieder bis zu zehn Personen aus zwei Haushalten im Freien treffen. Auch Kindergärten sind wieder geöffnet. Einzelhandel und Gastronomie bleiben jedoch weiterhin geschlossen.

Diese vorsichtige Lockerung der Restriktionen nach erneutem zweimonatigen Lockdown hatte Premierministerin Jacinda Ardern kurz zuvor bekannt gegeben, obwohl das Land nach wie vor täglich einige Dutzend Covid-Neuinfektionen und vereinzelt Todesfälle meldet. Damit bricht die Regierungschefin nun erstmals mit der bisherigen No-Covid-Strategie. Angesichts der Delta-Variante sei eine Rückkehr zu null Fällen unglaublich schwierig, so die Labour-Politikerin. Deswegen müsse der derzeitige Ansatz nun verändert werden, was im Laufe der Zeit ohnehin hätte stattfinden müssen. Auch stünden nun ja Impfstoffe zur Verfügung. Die Impfkampagne, die zunächst langsam vorankam, nimmt an Fahrt auf: 49 Prozent der Neuseeländer ab zwölf Jahren sind vollständig geimpft, 79 Prozent haben zumindest eine Dosis erhalten.

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Obwohl viele Menschen in Auckland die gelockerten Restriktionen begrüßten und schwimmen gingen oder mit dem Boot rausfuhren, gibt es auch Warner: »Die Menschen sind besorgt und trauern um die Sicherheit, die uns das alte Alarm-Level-System so lange gebracht hat«, schrieb der Psychologe Sarb Johal in einem Blogbeitrag. Es sei schwer loszulassen, und er selbst empfinde das auch so. Der Rest dieses Jahres und auch das kommende Jahr würden schwierig werden.

Premierministerin Ardern setzt derweil auch auf eine ungewöhnliche Maßnahme: Die Sozialdemokratin will den Anführer der berüchtigten, gewaltbereiten Straßenbande Mongrel Mob als »essenziellen Arbeiter« einstufen lassen, um ihm die Einreise zu erlauben. In Auckland soll er helfen, die Ausbreitung von Covid-19 in schwer erreichbaren Bevölkerungsgruppen zu minimieren, sowie Gangmitglieder zum Testen und Impfen überreden. Der Mongrel Mob gilt vielen jungen Männern, vor allem der Māori oder anderer polynesischer Ethnien, als Ersatzfamilie.

Neuseeland zählt zu den erfolgreichsten Ländern im Kampf gegen die Pandemie. Bisher registrierte man nur 4450 Covid-19-Fälle und 28 Tote. Das Land wurde seit Beginn der Pandemie weitgehend vom Rest der Welt abgeschottet, was dank der Insellage und der Abgeschiedenheit im Südpazifik leicht zu realisieren war. Im Falle eines noch so kleinen lokalen Ausbruchs wurden strenge Lockdowns verhängt. Immer wieder gab es längere Phasen mit einem weitgehend normalen Alltag, den Europäer während der Pandemie nicht kannten. Zuletzt war es aber umgekehrt: Während in Europa gelockert wurde, verhängte Neuseeland Mitte August wieder einen strengen landesweiten Lockdown, der nach einigen Wochen auf Auckland beschränkt wurde.

Der No-Covid-Ansatz wurde lange von den allermeisten Bürgern unterstützt. Zuletzt bröckelte aber die Zustimmung, da ein Ende der Beschränkungen nicht in Sicht ist. Vor einigen Wochen folgten, ungewöhnlich für Neuseeland, sogar 2000 Menschen dem Aufruf einer rechtsgerichteten Initiative zu einer ungenehmigten Demonstration gegen den Lockdown.

Auch die konservative Oppositionsführerin Judith Collins fordert jetzt einen neuen Ansatz. Es gebe andere Optionen, wie schnelle Antigen- und Speicheltests, verbesserte Kontaktverfolgung und speziell gebaute Quarantäneeinrichtungen. »Sie haben am Steuer ein wenig geschlafen«, sagte Collins in Richtung der Regierung. Zuvor hatte Ex-Premierminister John Key im lokalen Medium »Stuff« sein Land als »selbstgefälliges Einsiedlerkönigreich« bezeichnet und verglich den bisherigen Ansatz mit der Abschottung Nordkoreas. »Seit Monaten wir nur Enthusiasmus, unser Land abzuriegeln, unser Volk einzusperren und unsere Bürger im Ausland auszusperren«, schrieb er.

Tatsächlich ist die No-Covid-Strategie angesichts der deutlich infektiöseren Delta-Variante nicht mehr haltbar. Selbst gut eineinhalb Monate Ausgangssperre in Auckland brachten nicht den gewünschten Erfolg. Zuletzt stiegen die Fallzahlen wieder.

Das sieht auch Premierministerin Ardern so. Bereits Mitte August legte sie einen Stufenplan für die Wiederöffnung der Grenzen vor. Unter anderem soll ab 2022 für geimpfte Neuseeländer ein internationaler Urlaub wieder möglich werden. Doch diesen Plan formulierte die Regierung vor dem Ausbruch der Delta-Variante, und schon jetzt zeichnet sich ab, dass es wohl Abweichungen geben wird. So wurde am Sonntag verkündet, dass das Land ab November gar keine ungeimpften Besucher aus dem Ausland mehr einreisen lassen werde.

Dennoch: Die No-Covid-Strategie in Neuseeland ist Geschichte, und sie erreichte trotz der Erfolge auch nicht das eigentliche Ziel, wie Jacinda Ardern jetzt einräumte: »Selbst mit den langfristigen Beschränkungen, die wir hatten, haben wir offensichtlich nicht die Null erreicht.«

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