Hickhack um US-Infrastrukturpakete

Die Zustimmung zur Politik von US-Präsident Joe Biden sinkt auf einen bisherigen Tiefpunkt

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Joe Bidens Präsidentschaft befindet sich an einem kritischen Punkt. Viele US-Demokraten fragen sich, ob die Partei sich zusammenraufen kann, ob sie zusammen erfolgreich sein kann oder selbstverschuldet untergeht. Im Zuge des Afghanistan-Abzugs und der kritischen Medienberichterstattung sank die Zustimmung zu Bidens Amtsführung im Umfragedurchschnitt erstmals unter 50 Prozent. In einem zweiten Schritt überschritt die Ablehnung seiner Amtsführung nun auch die 50-Prozent-Marke, wie die Datenjournalisten von FiveThirtyEight meldeten.

Ein wichtiger Grund: Die Uneinigkeit der Demokraten über den Umgang mit zwei Gesetzespaketen von Biden, die in die Infrastruktur des Landes investieren, zahlreiche Maßnahmen gegen die Klimakrise sowie »soziale Infrastruktur« umfangreich fördern sollen. Fast ein Dutzend konservativer Abgeordneter der Demokraten wollte das überparteilich mit Stimmen der Republikaner im Senat im August beschlossene Paket zu überwiegend baulicher Infrastruktur im Umfang von 1200 Milliarden Dollar (über acht Jahre) bereits Ende September vom Repräsentantenhaus verabschieden lassen. Die Parteilinke um den Progressive Caucus verhinderte das in einem Showdown zu nächtlicher Zeit. Gut 60 Abgeordnete drohten mit Nein zu stimmen, weil sie eine Koppelung an das Paket zur sozialen Infrastruktur erhalten wollen, um – anders als 2009 unter Obama – keine Druckmittel aus der Hand zu geben.

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Doch damit ist nun ein Patt entstanden. Die Progressiven im Repräsentantenhaus können auch dank der knappen Mehrheit der Demokraten von nur drei Mandaten blockieren. Aber im Senat, wo die Demokraten jede Stimme aus der Partei brauchen, fordern die beiden prominenten konservativen Senatoren der Demokraten Kyrsten Sinema und Joe Manchin weitere Kürzungen des Pakets zur sozialen Infrastruktur, das laut dem Sanders-Kompromiss 3500 Milliarden Dollar über zehn Jahre betragen soll. Seit Wochen wird nun öffentlich darüber gestritten und verhandelt, was gekürzt werden soll. Dabei steht es immer offener »Manchin und Sinema gegen alle anderen«, selbst wenn es auch im Repräsentantenhaus noch Uneinigkeit gibt.

Manchin will geplante Mindeststandards für grüne Energie nicht akzeptieren, Sinema offenbar die geplanten Steuererhöhungen für Unternehmen und Reiche nicht – obwohl selbst moderate Demokraten dafür sind, Biden damit Wahlkampf gemacht hat und es überwältigende Zustimmung in Umfragen gibt. 2018 und auch 2020 haben besonders moderate Demokraten fast ausschließlich damit Wahlkampf gemacht, die exorbitant hohen Medikamentenpreise im Land zu senken. Nun droht dies durch Kürzungen bis zu Unkenntlichkeit verstümmelt oder ganz gekippt zu werden.

Beim Normalbürger bleibt nur der Eindruck »zerstrittene Demokraten« und der von einem blockierten Washington. Immerhin mischt sich Biden nun aktiv ein, peilt offenbar einen erneuten niedrigeren Kompromiss von rund 2000 Milliarden an, vermittelt zwischen den Parteiflügeln und hat mehrmals indirekt Manchin und Sinema kritisiert – die derzeit mit ihm verbündeten Progressiven hätten sich dies früher und entschiedener gewünscht.

Selbst wenn man sich, wie nun von der Parteiführung angekündigt, schon »diese Woche« oder »Ende Oktober« einigt, stehen die Zeichen für 2022 ungünstig. Die Partei des Präsidenten hat in der Vergangenheit immer Sitze in den Zwischenwahlen verloren. Bei den in den letzten Jahren leicht nach links gerückten Demokraten ist es im Anrennen gegen diese Strukturdaten zunehmend Konsens, das man Bidens milde sozialdemokratische Agenda mit den beiden Gesetzespaketen umsetzen muss, so das Leben der Menschen im Land mit konkreten Maßnahmen verbessern muss, sonst ist ein elektorales Blutbad und der Verlust der Mehrheit in einer oder in beiden Parlamentskammern nächstes Jahr sicher. Doch derzeit verlieren Biden und die Demokraten Zustimmung bei den wenig linken moderaten »Independents«, können aber auch nichts vorweisen, was die linksliberale Parteibasis, junge Demokrat*innen und Schwarze und Latinos beflügeln könnte, am 2. November in Virginia in Massen an die Urnen zu strömen. Die Gouverneurswahl, die immer ein Jahr nach der Präsidentschaftswahl stattfindet, gilt als Stimmungstest für die Präsidentenpartei.

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