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AfD stark, Infektionen hoch

Studie sieht Zusammenhang zwischen Zustimmung zur Rechtsaußenpartei und Anzahl der Virusinfektionen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Die Impfungen haben die Lage nicht verbessert«, behauptete der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla vor einigen Tagen in einer Erklärung auf Facebook. Zurückhaltend formuliert ist das ein abenteuerlicher Umgang mit der Faktenlage. Chrupallas Bundestagswahlkreis Görlitz liegt in Sachsen – jenes Bundesland, dass als Hotspot der vierten Coronawelle fast täglich Rekorde bei den Infektionszahlen bricht. In manchen Landkreisen, wie etwa Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und Meißen, liegt die Sieben-Tage-Inzidenz drei Mal so hoch wie im bundesweiten Vergleich.

Bei der Hauptursache sind sich Mediziner*innen und Forscher*innen einig: Die Quote für vollständig Geimpfte betrug am Freitag im Freistaat 57,6 Prozent, das ist rund zehn Prozentpunkte weniger als im bundesweiten Vergleich und 25 Prozentpunkte weniger als beim Impfspitzenreiter Bremen – dessen Sieben-Tage-Inzidenz nicht einmal halb so hoch ist wie der Wert für ganz Deutschland.

Halbwahrheiten, selektive Zahlen, Herunterspielen der Gefahr, die vom Coronavirus ausgeht – die AfD polemisiert gegen fast alle Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Teile der Partei suchen den Schulterschluss mit der »Querdenken«-Bewegung, die Covid-19 als Grippe abtut. Die Frage ist: Kann diese lautstarke Minderheit im Kampf gegen die Pandemie ignoriert werden?

Nein, wenn man betrachtet, was Wissenschaftler*innen vom Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) und der Epidemiologe Matthias Wjst vom Helmholtz Zentrum München herausfanden. Ihr Befund: Es besteht ein »deutlicher Zusammenhang« zwischen dem AfD-Zweitstimmenergebnis bei der Bundestagswahl 2017 und den Corona-Infektionszahlen in der ersten und zweiten Pandemiewelle des Jahres 2020.
Demnach gab es in Landkreisen mit einer großen Zustimmung zur AfD auch einen besonders starken Anstieg an Covid-19-Infektionen.

Diese Vermutung hatte der Soziologe Matthias Quent bereits vergangenes Jahr geäußert und dafür heftige Kritik einstecken müssen. Nun wurde die These mittels statistischer Berechnungen überprüft. Eine besondere Herausforderung war es, andere Faktoren als mögliche alternative Erklärung auszuschließen. 48 Merkmale wie etwa Bevölkerungsdichte, Mobilität, Grenznähe oder die Anzahl an Pflege-, Schul- und Kinderbetreuungseinrichtungen wurden in der Auswertung berücksichtigt, doch als Gründe scheiden diese aus. »Es ist erstaunlich, dass mit dem früheren Wahlverhalten hier ein Faktor relevant wird, der im Verhältnis zu vielen anderen demografischen Merkmalen, die wir geprüft haben, einen relativ hohen Einfluss auf das Pandemiegeschehen zu haben scheint«, so Wjst.

Die Auswirkung der AfD-Ergebnisse lässt sich sogar mit konkreten Werten beziffern. »Ein Anstieg des AfD-Wahlergebnisses um einen Prozentpunkt erhöht die durchschnittliche Infektionshöhe in der Anstiegsphase der ersten Welle um 2,2 Prozentpunkte«, so der Soziologe Christoph Richter. Dies gelte sowohl in ost- und in westdeutschen Landkreisen gleichermaßen.

Interessant ist zudem: In Gegenden mit einem erhöhten Infektionsgeschehen gab es schon vor Aufkommen der AfD eine verstärkte Neigung von Teilen der Bevölkerung zu extrem rechten Parteien. »Auch in Regionen, in denen bis zu 17 Jahren zuvor der Anteil an Zweitstimmen radikal rechter Parteien und – in geringerem Umfang – der Anteil an Nichtwählenden höher lagen, stiegen die Inzidenzen im Zuge der Pandemie 2020 signifikant stärker an«, so die Forscher*innen.

Dies deute darauf hin, dass lokale Unterschiede in der politischen Kultur über lange Zeiträume gewachsen sind und sich aktuell auch in der Coronakrise artikulierten. »Ausgehend von diesen Ergebnissen ist die Annahme naheliegend, dass auch in der aktuellen vierten Welle und bei der mangelnden Impfbereitschaft rechte Einstellungen als Verstärker der Pandemie wirken könnten«, vermutet Quent. Andere Erhebungen stützen diese Annahme. So hatte vor wenigen Tagen eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Forsa herausgefunden, dass 50 Prozent der aktuell ungeimpften Wähler*innen bei der Bundestagswahl im September für die AfD votierten. Ihr Stimmenanteil lag damit unter Ungeimpften fünf Mal höher als ihr Zweistimmenergebnis von 10,3 Prozent in der Gesamtbevölkerung.

Die Ergebnisse der neuen Studie wurden in der AfD erwartungsgemäß vehement abgestritten. Parteivize Stephan Brandner sprach von »pseudowissenschaftlichen Studien«, das an der Untersuchung beteiligte Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft sei »von linksradikalen Kräften durchsetzt«. Ein schlüssiges, wissenschaftliches Gegenargument nannte er in seiner Erklärung nicht.

Brandners Landesverband Thüringen stellt sich besonders aggressiv gegen fast alle geltenden Anti-Corona-Maßnahmen im Freistaat. Aktuell sammelt die AfD deshalb Stimmen für ein Volksbegehren gegen den »Corona-Extremismus«.

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