Lärmschutz am BER wird teurer - der Airport zahlt nicht

Wer jahrelang zögerte, Schallschutzfenster einbauen zu lassen, bekommt die jetzt höheren Kosten nicht erstattet

»Wir erleben, dass der BER für uns durchaus ein Wirtschaftsmotor ist«, erklärt am Montag Ludwigsfeldes Bürgermeister Andreas Igel (SPD). Es gebe eine starke Nachfrage nach Gewerbeflächen und Wohnungen. Trotz des Fluglärms ziehen Menschen in die Nachbarschaft des Hauptstadtairports.

»Manche hatten gehofft, dass der Flughafen niemals eröffnet«, weiß Schulzendorfs Bürgermeister Markus Mücke (parteilos). Nach jahrelangen Verzögerungen beim Bau ging der BER im Oktober 2020 dann doch an den Start - allerdings zu einer Zeit, als es wegen der Coronakrise nur wenig Luftverkehr gab. Erst im zweiten Halbjahr 2021 zogen die Passagierzahlen deutlich an. 1,2 bis 1,4 Millionen Fluggäste pro Monat begrüßte der BER, im Oktober sogar 1,67 Millionen. Seit Anfang Dezember werden beide Start- und Landebahnen benutzt. Bis dahin genügte eine. Für das Jahr 2022 erwartet die Flughafengesellschaft 17 Millionen Passagiere, wie Geschäftsführer Michael Halberstadt sagt.

Einen bitteren Vorgeschmack auf das, was kommen könnte, erhielten Anfang August Einwohner von Zeuthen, Eichwalde und Schönefeld. Da tauchten über ihren Köpfen plötzlich startende Maschinen auf, die dort eigentlich gar nicht entlangkommen sollten. Vorgeschrieben ist den Piloten, die bei Ostwind von der Südbahn des BER nach Osten abheben, eine scharfe Kurve zu fliegen, die sogenannte Hoffmannkurve. Sie ist benannt nach dem Hobbypiloten Marcel Hoffmann, der da unten wohnt und sich die Kurve ausdachte, um Belästigungen durch Fluglärm zu vermeiden, soweit es geht. Mit Verweis auf technische Schwierigkeiten hielten sich die Billigflieger von Easyjet aber nicht daran. »Viele Menschen bemerkten erstmals, was für Belastungen in den nächsten Jahren auf sie zukommen«, sagt Eichwaldes Bürgermeister Jörg Jenoch (parteilos).

Die Betroffenen verlangten Schallschutz. Aber so einfach ist das nicht. Das weiß der Schulzendorfer Bürgermeister Mücke. »Da gibt es unterschiedliche Interpretationen, obwohl es klare Regeln gibt«, sagt er. Dass mal ein oder zwei Maschinen über das Grundstück donnern, reicht nicht aus. Anspruch auf Schallschutzfenster oder eine Entschädigung besteht nur, wenn tagsüber in geschlossenen Räumen ein Dauerschallpegel von 60 Dezibel überschritten wird.

Rund 22 000 Anträge auf Lärmschutz oder Entschädigung sind bei der Flughafengesellschaft FBB gestellt worden. Etwa 21 000 Anträge seien abgearbeitet, 150 noch in der Bearbeitung, erläutert Geschäftsführer Halberstadt. Offen sind außerdem 850 Anträge, bei denen man einfach nicht weiterkomme - zum Beispiel, weil die Hauseigentümer den Gutachtern das Betreten ihres Grundstücks verweigern. Bezahlt werden Schallschutzfenster oder die Dämmung der Fassade nur, wenn der Preis 30 Prozent des Wertes eines Gebäudes nicht überschreitet. Ab diesem Grenzwert fließt eine finanzielle Entschädigung in genau dieser Höhe. Die Hauseigentümer müssen sich dann selbst überlegen, welchen Schallschutz sie sich leisten wollen. Sie dürfen sich auch sagen: »Ich stecke mir das Geld lieber in die Tasche und lasse am Haus alles so, wie es ist.«

Bei denjenigen, die eine Lärmdämmung schon vor Jahren zugesprochen bekamen, zögerten viele, sofort eine Baufirma zu beauftragen. Es schien ja nicht dringend zu sein, da der BER auf sich warten ließ. Jetzt aber, wo der Lärm da ist, wird es deutlich teurer. Die Preise für Baumaterial sind förmlich explodiert, weil die Coronakrise die Lieferketten störte und die Nachfrage viel größer ist als das Angebot.

Nun aber weigert sich die Flughafengesellschaft, die enorm gestiegenen Kosten zu übernehmen. »Wir haben auch keine Veranlassung dazu«, winkt Halberstadt ab. Wer die Baumaßnahmen jahrelang hinauszögerte, sei selbst schuld. Die FBB zahle nur dann mehr Geld, wenn sie selbst die Verzögerung zu verantworten habe.

»Die Probleme hätten wir nicht, wenn sich alle gleich um den Schallschutz gekümmert hätten«, meint Bürgermeister Mücke. Eigentlich sei das Thema Schallschutz durch. Es werde das Dialogforum der Umlandkommunen dennoch weiter beschäftigen. Jenes Dialogforum wünscht sich einen Lärmschutzfonds für Kitas, Schulen oder Bibliotheken, die in den wachsenden Kommunen jetzt noch gebaut werden müssen, die dann aber keinen Anspruch mehr auf Zahlungen der Flughafengesellschaft haben.

Das Dialogforum, das sich um die Lösung der Konflikte des Flughafens mit den Anrainerkommunen kümmert, erhält von der FBB übrigens 215 000 Euro pro Jahr. Einen hauptamtlichen Vorsitzenden konnte es sich nicht leisten. Der Strategieberater Alfred Reichwein, Partner der früheren Potsdamer Linke-Kreisvorsitzenden Martina Trauth, leitete das Forum zwei Jahre ehrenamtlich. Da es künftig um »örtliche Angelegenheiten« und »politische Arbeit« gehen werde, so sagt er, zieht sich Reichwein zurück. Für diese Aufgaben seien andere besser geeignet. Es hat sich aber trotz intensiver Suche noch niemand gefunden. Übergangsweise wollen sich nun die Bürgermeister der brandenburgischen Städte und Gemeinden Ludwigsfelde, Eichwalde und Schulzendorf sowie der Bürgermeister des Berliner Bezirks Treptow-Köpenick in dieser Funktion abwechseln.

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