Nicht mehr Welle, sondern Wand

Angesichts von schon jetzt überfüllten Intensivstationen warnen Expert*innen vor den Auswirkungen der Omikron-Variante

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 3 Min.
Deutschland steht die Omikron-Welle kurz bevor. Das Robert-Koch-Institut geht davon aus, dass die Variante Anfang Januar die vorherrschende sein wird – und mehrere Zehntausend Infektionsfälle täglich ausmachen wird. Daher ist es kein Grund zur Entwarnung, dass die Zahl der täglichen Neuinfektionen leicht gesunken ist – am Dienstag waren es 23 428 innerhalb von 24 Stunden. Die Zahl der Todesfälle stieg zuletzt um 462. Vieles ist unklar: Wegen sporadischer Untersuchung von Virusproben in Deutschland wissen wir nicht mit Sicherheit, wie viele Menschen bereits mit Omikron infiziert sind, Expert*innen gehen von 10 bis 20 Prozent aus. Die Auswirkungen der Variante auf Hospitalisierungs- und Todesrate sind noch nicht abzusehen.

Schaut man auf die Entwicklung der Infektionszahlen in Südafrika und Großbritannien, wird deutlich: Die Neuinfektionen steigen rasant an. Omikron verläuft nicht als Welle, sondern als Wand, das sagen Modelle auch für Deutschland voraus. Und selbst wenn die Verläufe milder sein sollten, würde ein extremer Anstieg der Infektionszahlen trotzdem dazu führen, dass mehr Menschen auf den Intensivstationen behandelt werden müssten. Und dort herrscht jetzt schon der Ausnahmezustand.

Bereits im November appellierten Intensivmediziner*innen an die Bevölkerung, sich vorsichtig zu verhalten, um eine notfallmedizinische Versorgung zu vermeiden. In Mecklenburg-Vorpommern wurde nach Auskunft des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Anfang dieser Woche mit 100 Covid-Intensivpatient*innen ein neuer Höchststand erreicht. »So viele waren es während der gesamten Pandemie noch nicht. Das ist alles noch Delta. Und nun kommt Omikron«, kommentierte Lars Kaderali, Greifswalder Bioinformatiker und Mitglied im Expertenstab der Bundesregierung, auf Twitter.

In den sozialen Medien berichtet Intensivpflegepersonal verzweifelt davon, dass Notfälle zuweilen nicht mehr ausreichend schnell operiert werden können, weil nicht genug Intensivbetten frei sind. Auch diese Menschen sterben infolge der Pandemie, werden aber statistisch nicht als Coronatote erfasst.

Die Krebszentren warnen eindringlich vor den negativen Folgen für Patient*innen mit schweren onkologischen Erkrankungen. Schon jetzt hätten zwei Drittel der befragten Kliniken keine Kapazitäten mehr, um weitere Krebspatient*innen aufzunehmen, wie aus einer am Dienstag veröffentlichen Erhebung der Corona Task Force des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), der Deutschen Krebshilfe und der Deutschen Krebsgesellschaft hervorgeht. Der DKFZ-Vorstandsvorsitzende Michael Baumann sagte, bei steigenden Corona-Fallzahlen müsse man mit einem erneuten Anstieg an Patient*innen rechnen, die intensivmedizinisch betreut werden müssten. Die Intensivstationen könnten aber schlichtweg niemanden mehr aufnehmen. Das gelte sowohl für Corona-Patient*innen als auch für Menschen mit anderen schweren Erkrankungen. »Tritt dies ein, wird die Triage zum Klinikalltag«, warnte der Mediziner.

Triage bedeutet, dass Mediziner*innen wegen knapper Ressourcen entscheiden müssen, wem sie zuerst und mit welchen Mitteln helfen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisierte Anfang Dezember, die bisherigen Empfehlungen benachteiligten alte Menschen und solche mit einer Behinderung und forderte eine gesetzliche Regelung seitens der Bundesregierung.

»Die Auslastung ist weiterhin sehr hoch, die Arbeitsbelastung noch höher, die psychologische Belastung der Teams geht schon teilweise sehr an das Menschenmögliche«, sagte Gernot Marx, Präsident der Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Zwar sei die Zahl der Covid-Patient*innen zuletzt wieder etwas gesunken, dies liege aber auch daran, dass »sehr viele Patienten versterben«, sagte Marx. Alleine in der vergangenen Woche seien auf den Intensivstationen mehr als 1000 Menschen wegen Corona gestorben, seit Anfang November sogar mehr als 5100. »Das ist für die Teams sehr schwer zu ertragen«, sagte der Divi-Präsident. Mit Agenturen

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