Todesstrafe für K-Pop

Enttäuschte Hoffnungen: Auch unter Kim Jong Un gibt es öffentliche Hinrichtungen in Nordkorea

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Menschenrechtsverbrechen des nordkoreanischen Regimes werden in den Medien oft ins Groteske überzeichnet. Doch manche der unglaublich anmutenden Grausamkeiten sind wahr: Nach wie vor werden Bürger unter dem Kim-Regime öffentlich hingerichtet - manchmal lediglich, weil sie illegale Videos aus Südkorea geschaut haben.

Die Transitional Justice Working Group mit Sitz in Seoul dokumentiert die Gewalt der nordkoreanischen Regierung systematisch. Der Nichtregierungsorganisation kämpft gegen das Vergessen an: Sollte es einmal zu einer Wiedervereinigung auf der koreanischen Insel kommen, sollen die Verantwortlichen des nordkoreanischen Regimes zur Rechenschaft gezogen werden und die Opfer rechtliche Anerkennung erhalten.

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Für ihren Mitte Dezember veröffentlichten Bericht haben die Bürgerrechtler sechs Jahre lang nahezu 700 nordkoreanische Flüchtlinge befragt: Ihnen wurden Satellitenfotos ihrer Heimatstädte vorgelegt, um die übelsten der staatlichen Gräueltaten nachzuvollziehen - öffentliche Hinrichtungen.

Vor allem Geflüchtete aus den Grenzregionen zu China erzählen in alltäglichem Tonfall von Erschießungen. Diese finden meist im Freien statt, etwa auf Flugplätzen oder Feldern am Ortsrand. Oft müssen Angehörige und die gesamte Verwandtschaft zusehen - offensichtlich zur Abschreckung. »Selbst als bereits Flüssigkeit aus dem Gehirn des Verurteilten austrat, mussten die Menschen noch in Reih und Glied stehen bleiben und ihm ins Gesicht schauen«, erzählt ein Nordkoreaner.

23 öffentliche Exekutionen kann die Nichtregierungsorganisation während der Herrschaft von Kim Jong Un nachweisen. Fast alle wurden in Hyesan vollzogen - einem Grenzort, den die meisten Flüchtlinge auf ihrer Route nach China passieren. Gründe für die Todesstrafe sind Drogenvergehen, Prostitution oder Mord. In sieben Fällen wurden Menschen wegen eines eher banalen Straftatbestands hingerichtet: dem Schauen und Verbreiten südkoreanischer Musikvideos.

Das Regime in Pjöngjang sieht Informationen aus dem Ausland als existenzielle Bedrohung an - vor allem politische Flugblätter, aber auch ganz triviale Seifenopern und K-Pop-Videos (koreanischer Pop). Der Konsum der Clips aus dem hochmodernen, wohlhabenden Nachbarland im Süden ist für viele verarmte Nordkoreaner ein regelrechter Schock. Wie eine Studie des Database Center for North Korean Human Information in Seoul belegt, sollen sich knapp zwei Drittel aller nordkoreanischen Flüchtlinge in Südkorea aufgrund von Informationen aus dem Ausland zum Verlassen ihres Landes entschlossen haben.

Die Menschenrechtsverbrechen der vergangenen Jahre festzuhalten, ist derzeit besonders wichtig: Seit der Corona-Pandemie ist das ohnehin abgeschirmte Land vollkommen verschlossen. Unabhängige Informationen dringen kaum mehr an die Außenwelt.

Noch vor zehn Jahren verbanden Beobachter viele Hoffnungen mit dem Machtantritt von Kim Jong Un, der nach dem überraschenden Tod seines Vaters das Ruder übernommen hatte. Sie verwiesen darauf, dass Kim junior als Grundschüler im schweizerischen Bern gelebt hatte und Fan der US-amerikanischen Basketballliga NBA ist. So jemand würde sein Land wirtschaftlich und womöglich auch politisch öffnen, hieß es.

Eingetreten ist das Gegenteil: In wenigen Jahren zementierte Kim Jong Un seine Macht mit Säuberungen, die an Brutalität alles übertrafen, was das Land seit Jahrzehnten erlebt hatte. 2017 ließ er mutmaßlich seinen Halbbruder Kim Jong Nam am Flughafen Kuala Lumpur mit Nervengas vergiften.

Gleichzeitig hält Nordkoreas Machthaber an seinem Atom- und Raketenprogramm als Lebensversicherung des Regimes fest - eine Entscheidung, die eine ökonomische Entwicklung des Landes erschwert.

Wo Nordkorea in weiteren zehn Jahren stehen wird, fragte kürzlich das Fachmedium »NK News« mehr als 80 führende Beobachter des Landes. Das wahrscheinlichste Szenario ist mehr als ernüchternd: Die Bevölkerung werde eine »schwere humanitäre Krise« und »Nahrungsmittelknappheit« erleiden, während die politische Elite weiter ihr Nuklearprogramm vorantreibt.

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