Neue T-Shirts aus alten Jeans

Das Fraunhofer-Institut für angewandte Polymerforschung arbeitet am Thema Nachhaltigkeit

  • Wilfried Neiße, Potsdam
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wir haben unsere Seele verkauft.« Professor Johannes Ganster, Forschungsbereichsleiter im Fraunhofer-Institut für angewandte Polymerforschung in Potsdam-Golm gibt sich keinen Illusionen hin. Wenn hier am Ort über den Ersatz von Erdöl als Ausgangsstoff für vieles nachgedacht wird, dann ist der Endpunkt immer die Verwertbarkeit. »Man denkt wie ein Konzernforscher.«

Das Institut erhält im Jahr 12,7 Millionen Euro von Bund und Land. Aber das ist nur ein Teil der finanziellen Quellen, ein Drittel spendet die Industrie. »Geld bekommt man von der Wirtschaft«, sagt der Physiker. Völlig uneigennützig geschieht das natürlich nicht. Patente gehören dann im Gegenzug nicht dem Institut, sondern den Konzernen.

Materialien, die von dem 250 Mitarbeiter zählenden Institut entwickelt worden sind, finden schon heute Anwendung als biologisch abbaubaren Agrarfolien, beim Bau von Windkraftanlagen, Wasserstoffspeichern und Leichtbaukomponenten.

Dass Kunststoffe, also vor allem Plaste und Elaste, heutzutage einen eher schlechten Ruf genießen, sei nicht per se gerechtfertigt, meint Abteilungsleiterin Antje Lieske. Diese Materialien haben ihr zufolge Eigenschaften, die unverzichtbar in der heutigen Zeit sind und die ihren Siegeszug in den vergangenen 100 Jahren auch begründen. Unsere Welt wäre ohne Klebstoffe und Kabelisolierung beispielsweise nicht mehr vorstellbar, bemüht sich die Chemikerin, den Ruf dieser Stoffe zu retten oder doch einer einseitigen üblen Nachrede entgegenzutreten. Kunststoffe seien leicht, haltbar, biegsam oder fest, abwaschbar und zäh. Das Problem dabei: »95 Prozent der heute verwendeten Kunststoffe werden aus Erdöl hergestellt.« Haben die Stoffe ausgedient, landen sie auf dem Müll oder schwimmen in den Weltmeeren. Es gibt Kunststoffe, die sich nach fünf Jahren wieder in ihre Einzelteile zerlegen, andere halten sich auch noch nach Jahrhunderten im Boden. Eine Wiederverwendung wäre also das, was heute »nachhaltig« genannt wird.

Kunststoff sperrt sich leider gegen seine Rückverwandlung, so wie niemand geronnenes Eiweiß wieder verflüssigen kann. Schon seit Jahrzehnten wird laut Lieske versucht, Kunststoff zu recyceln. Aber dabei sei nicht viel mehr herausgekommen, als die mehr oder weniger vollständige Zerkleinerung und erneute Pressung. Von hochwertigem späteren Gebrauch könne keine Rede sein. »Die Eigenschaften werden immer schlechter.« Am Ende sei es immer noch einfacher, neuen Kunststoff aus Erdöl zu fabrizieren.

Ganster stellt das ehrgeizige Projekt vor, das begehrte Material Karbon aus Holz zu gewinnen. Karbon ist viermal leichter als Stahl und doppelt so fest. Es ermöglicht den Bau gigantischer Windräder. Es sei gelungen, wenn auch erst in winzigen Mengen, Karbonfasern aus nachwachsenden Rohstoffen zu extrahieren.

Was bislang undenkbar schien, ist im Potsdamer Ortsteil Golm nun Ziel der Forschung: Man will aus alten Jeans den Grundstoff für neue T-Shirts gewinnen, also quasi neue Baumwolle aus der alten machen. Bislang wurden Alttextilien aus Europa entweder nach Afrika verschifft, wo sie die örtliche Textilherstellung unter Druck bringen, oder sie wurden einfach in den Müll geworfen und verbrannt. Um aus alter Baumwolle neue zu machen, kooperiert das Institut laut André Lehmann unter anderem mit dem Unternehmen Märkische Faser. Es ist der Restbestand von Europas größten Werk für Chemiefasern, das in Premnitz stand und nach 1990 geschlossen wurde. Der Plan ist, Alttextilien in Zellulose zu zerlegen, die wieder aufbereitet zu einem Faden versponnen wird, der seinerseits zu einer neuen textilen Fläche verwebt werden kann.

»Eine der zentralen Aufgaben besteht auch im Wandel der vorrangig fossilbasierten Wirtschaft in eine weitgehend biobasierte Wirtschaft«, kommentiert Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne). Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) setzt hinzu: »Mehr als ein Drittel der außeruniversitären Forschungseinrichtungen und fünf der im Bundesland ansässigen Hochschulen forschen zu diesem Thema.«

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