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Warum Scholz zögert

Der Kanzler hält sich in der Impfpflicht-Debatte zurück, weil er Probleme haben dürfte, in seiner Ampel eine Mehrheit dafür herzustellen. Damit macht er es der Union aber sehr leicht

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Eines muss man Olaf Scholz lassen: In seiner Zurückhaltung bleibt er ebenso konsequent wie die Union bei ihrer Strategie, ebenjenen Führungsstil zu missbilligen. Vielmehr bot diese erste parlamentarische Sitzungswoche des neuen Jahres Anschauungsunterricht, wie eifrig und entschlossen der Kanzler seine Art zu führen verfolgt. In der ersten Regierungsbefragung seit Scholz' Amtsantritt beanstandete Unionsgeschäftsführer Thorsten Frei, der Regierungschef habe »nicht die Kraft«, einen Gesetzgebungsvorschlag zur Impfpflicht einzubringen. Die Ampel hatte entschieden, über die Impfpflicht in einer offenen Debatte ohne Fraktionszwang abstimmen zu lassen und deshalb keine eigenen Anträge zu stellen. Die Union kritisiert das.

Und Scholz? Der bedankte sich für die Frage und die »Gelegenheit, nochmal zu wiederholen, was allseits bekannt ist«. Was folgte, war ein für seine Verhältnisse geradezu energisches Plädoyer für seinen ansonsten eher dezenten Politikstil. Er habe »der Debatte eine Richtung gegeben, die vorher nicht zu erkennen war«. Nämlich, indem er selbst als Abgeordneter eine allgemeine Impfpflicht für alle ab 18 für »erforderlich« halte – es gebe aber Fragen, die »von so grundlegender Bedeutung sind, dass es der Sache dient, wenn man einen anderen Weg geht«. Am Ende ballte Scholz beide Hände zur Faust: »Es ist der richtige, es ist der richtige Weg für demokratische Leadership!«

Nun, es mag ein Stück weit seinem Naturell entsprechen, einen solchen Weg zu verfolgen. Vor allem aber scheint des Kanzlers Zurückhaltung dem Wesen seiner Koalition geschuldet. Scholz will die Impfpflicht, das ist unverkennbar. Sein Problem ist aber: Er dürfte Schwierigkeiten haben, in den eigenen Reihen eine Mehrheit dafür herzustellen. Besonders in der FDP gibt es Vorbehalte: Die Gruppe um Wolfgang Kubicki ist generell dagegen, der liberale Gesundheitsexperte Andrew Ullmann regt eine altersbezogene Impfpflicht etwa für Menschen ab 50 an.

Deshalb zögert er, und zwar gleich doppelt. Erstens: Den ursprünglichen Zeitplan, bis Ende Februar oder Anfang März eine Impfpflicht einzuführen, wird er kaum noch halten können. Statt einer schnellen Entscheidung soll es nun in der kommenden Sitzungswoche zunächst eine »Orientierungsdebatte« geben. Anschließen müsste nicht nur der Bundestag einer Impfpflicht zustimmen, sondern auch noch der Bundesrat.

Und zweitens: Scholz zögert, seine eigene Position zur Kanzlerposition zu machen, um der gerade eben erst errichteten Ampel nicht schon die ersten Dellen zuzufügen. Dafür nimmt er sogar den Preis des ständigen Piksens der Union in Kauf – auch wenn man sagen muss, dass es der Kanzler der größten Oppositionspartei damit allzu einfach macht.

Auch der FDP-Justizminister Marco Buschmann zweifelt noch an einer verpflichtenden Impfung, wie er jüngst in einem Interview mit der »Zeit« bekannte. In seiner Rede am Mittwoch wiederum sprach er viel über Freiheit: Diese Zeit sei eine »des Zweifels am Wert der Freiheit«, sagte er und führte aus: »Die einen sorgen sich, ob wir je unsere alte Freiheit ohne all die Beschränkungen wieder vollständig zurückerhalten.« Und andere wiederum »zweifeln an der Freiheit, weil sie meinen, dass die Freiheit des Einzelnen dem gesellschaftlichen Fortschritt im Wege steht«, etwa beim Kampf gegen die Pandemie und den Klimawandel. Buschmann konkludierte: »Wenn es Beschränkungen gibt, die heute nötig, aber morgen unbegründet sind, dann müssen sie in Zukunft fallen!«

Auf die Impfpflicht ging er dagegen überhaupt nicht ein – dafür aber Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der am Donnerstag mehrere Minuten darauf verwendete, um eindringlich für diese zu werben. Die allgemeine Impfpflicht sei »der sicherste und schnellste Weg aus der Pandemie heraus«, sagte der SPD-Politiker. Sie sei medizinisch geeignet, fuhr Lauterbach fort, ehe er zur Frage der Moral überging und ganz deutlich wurde: »Wer sich dem Impfangebot verweigert, verletzt sogar das moralische Gebot des Kategorischen Imperativs im Sinne von Immanuel Kant.«

Problem: Eine Moral wird nicht zum Gesetz, wenn man nur genug Redezeit darauf verwendet. So ausschweifend Lauterbach die Impfpflicht im Bundestag befürwortete, so wenig wird auch von ihm ein Antrag zu erwarten sein. Er wolle neutral bleiben, hatte er dem Nachrichtenportal »The Pioneer« gesagt. Der ewig mahnende Mediziner, dessen Anpassungsfähigkeit an ein Ministeramt lange bezweifelt wurde, übererfüllt diese Aufgabe nun fast schon, indem er sich ganz in den Dienst seines Chefs stellt.

Vor allem: in den Dienst von Scholz' Problemen.

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