»Furchtbar ist es, zu töten ...«

Notiz nach der ARD-Dokumentation »Die RAF« von Stefan Aust und Helmar Büchel

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.
Der erste Teil der Dokumentation »Die RAF« von Stefan Aust und Helmar Büchel wurde am Sonntag 21.45 Uhr gezeigt, der zweite am Montag zur Hauptsendezeit 20.15 Uhr. Eine Zeit-, keine Gewichtsverschiebung, und zwar aus banalen »Tatort»-Gründen. Im Nachhinein trotzdem Anlass für einen bewusst gesuchten Hintergedanken. Etwas grob vermutet: Die Geschichte des Terrors, der geistig-politische Untergrund eines militanten, mörderischen Hasses, der freilich tragischerweise den Mittegefilden der Gesellschaft entstieg und also Kritisches über den Zustand dieser Gesellschaft aussagt - diese Geschichte ist offenkundig weit weniger mit voyeuristischer Energie ausgestattet als eben jene Geschichte im zweiten Teil, die fast einzig und allein um die Schleyer-Entführung kreiste, ums Schicksal der »Landshut«-Passagiere und um die »Spiegel«-gestützten Enthüllungen ob bislang unbekannter Abhörmaßnahmen in den Zellen der Stammheim-Häftlinge. Dieser zweite Teil: besonders viel Blut, viel Farbe, viel Thriller, noch mehr Blut und Leichen-Nahaufnahmen, Deutschland als Hollywoodfilm - wenn das Tom Cruise sah, folgt auf den Stauffenberg der Baader. Von Attentat zu Attentat. Sterben, damit die Story lebt? Begreifbar wird nach dem Film freilich, wie sich das weiterhin quälend im Wege steht: auf der einen Seite Aufklärung, Verarbeitung, auf der anderen Seite aber die Notwendigkeit, jedes Erinnerungsbild letztlich vor der scheinbar nachwachsenden Aura der RAF-Gründerfiguren schützen zu wollen. Die immerhin eine Zeit lang in der Lage waren, einen politisch-intellektuellen Diskurs zu bestimmen, ihn ideologisch so zu verschärfen, dass unterschiedlichste Projektionen möglich wurden (vor allem bei Ulrike Meinhof): Da war die Unbedingtheit der Moralisten; da war die romantische Lust auf die große, außerordentliche Tat; da war die Reinheitsfantasie, die gegen den Interessenschmutz des realen Lebens allemal triftige Empörungsgründe fand ... Von eindringlichem Irrwitz: die Möglichkeit der zu Verbrechern gewordenen Rebellen, in Stammheim ihre Zellen gleichsam in Funkzentralen umwandeln und so aus einem Hochsicherheitstrakt quasi eine Schaltzentrale nach draußen machen zu können. Statt Isolationshaft sah's - übertrieben gesagt - nach buntem Treiben aus, bei dem die Häftlinge zu frech-souveränen Dirigenten ihrer gefesselten Lage wurden. Als unter RAF-Leuten in Bagdad die Nachricht vom Tod Baaders und der anderen publik und sofort der Verdacht geäußert wird, man habe sie umgebracht, da wettert Brigitte Mohnhaupt gegen diese Unterstellung: Selbstbestimmtes Leben gegen den Staat schließe selbstbestimmtes Sterben ein. Brechts »Maßnahme« wahrlich als Lehrstück: »Furchtbar ist es, zu töten./ Aber nicht andere nur, auch uns töten wir, wenn es nottut./ da doch nur mit Gewalt diese tötende/ Welt zu ändern ist.« Der Film stärkt so den Verdacht vom Selbstmord der RAF-Häftlinge, aber er beweist ihn natürlich nicht, und damit ist ein Faszinosum benannt, das dieses deutsche Thema wach halten wird: Es bleibt Stoff für einen Glaubenskampf zwischen Verteidigern des Staates und denen, die das System - im regen Wechsel der Anlässe doch stetig - am Pranger sehen wollen. Die RAF-Geschichte bleibt eine Tragödie, deren Reiz sich aus dem ältesten Erzählmuster ergibt: Zwei politische Kräfte rasen in Unentrinnbarkeit so aufeinander zu, dass ab einem bestimmten Punkt - setzt man das einzelne menschliche Leben als Maßstab - jede Entscheidung auf jeder Seite so zwingend ist, wie sie falsch bleiben muss. Diese drei spannenden Stunden Dokumentation mit ihren investigativen Vorstößen und ihrer filmischen Suggestivkraft, oder zahlreiche neue und wieder aufgelegte RAF-Bücher dieses Herbstes, oder drei Projektwochen zum Thema am Schauspiel Stuttgart, oder die Verfilmung von Austs »Baader-Meinhof-Komplex«: Der Dämon lebt. Man sieht Austs und Büchels Film, man denkt daran, dass die Zeit inzwischen doch wohl weit mörderischer, kriegerischer, ungerechter geworden ist, und man stellt verwundert den so verhängnisvoll abdriftenden Protestwillen von damals in Beziehung zum beinahe kritikfreien studentischen Pragmatismus von heute. Die »Zeit« schrieb zu diesem Phänomen vor einiger Zeit, das sei sehr beruhigend, eine »Umwälzung, die Opfer erfordert«, stünde demnach nicht an. »Aber wir sollten uns nicht darauf verlassen. Mag auch die Oberfläche der Verhältnisse entspannt wirken - wir wissen selber, was sich darunter verbirgt.« Auch dieser Film über Jahre des Terrors brachte es in Erinnerung.

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