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Sitzen ist politisch

In »Monobloc« erzählt Dokumentarfilmer Hauke Wendler von der Weltherrschaft eines weißen Plastikstuhls

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 4 Min.

Hauke Wendler gehört zu den renommiertesten deutschsprachigen Dokumentarfilmern. Bekanntheit erlangten er und sein regelmäßiger Co-Produzent Carsten Rau insbesondere mit den Kino-Dokus »Wadim«, »Willkommen auf Deutsch« und »Alles gut«, in denen es um das Thema Migration und Integration geht und die zum Besten gehören, was im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren dokumentarfilmisch zu diesem Thema erschienen ist. Alle drei Filme waren eher schwere Kost - mit seinem neuen Film »Monobloc« hat Wendler nun so etwas wie einen Feel-Good-Dokumentarfilm geschaffen.

Zwar bleibt er bei seiner sehr konkreten Erzählweise - wir lernen in dem Film ein Dutzend Menschen aus der ganzen Welt kennen, deren Geschichten und Ansichten, wie üblich, großer Raum eingeräumt wird -, im Mittelpunkt des Films steht aber der weiße Plastikstuhl, der wohl in praktisch jedem (nicht nur) deutschen Schrebergarten anzutreffen ist und der, wie wir eingangs des Films erfahren, Monobloc heißt und »das meistverkaufte Möbelstück der Welt« ist.

In den folgenden rund 90 Minuten zeigt der Film, wie es dazu kam und auch, was man mit diesem, wie man bald erfährt, überaus unbeliebten Gegenstand so alles anstellen kann, wie er hergestellt wird und wer ihn erfunden hat. Wendler begibt sich dabei auf eine Reise um die halbe Welt, denn der Stuhl hat tatsächlich noch die entferntesten Winkel des Planeten erobert. Ist Gegenstand von Kunstausstellungen, findet sich auf einigen der berühmtesten Fotografien der jüngeren Weltgeschichte und macht sich unter anderem als Teil von Rollstühlen nützlich. Diese sind wegen der niedrigen Produktionskosten des Monobloc auch für viele Menschen mit Behinderungen in den ärmsten Gegenden der Welt erschwinglich.

Der Regisseur stöbert den Erfinder des Monobloc-Rollstuhls auf und zeigt die Geschichte einer ugandischen Frau, die ohne den Plastikrollstuhl kaum eine Chance auf einen fahrbaren Untersatz hätte. Hier zeigt der Film - und die Herangehensweise, sich mehr oder minder ausschließlich auf das genaue Beobachten der Protagonisten zu konzentrieren und sich voll auf ihre Geschichten und Perspektiven einzulassen - seine größte Stärke.

So erzählt etwa der kalifornische Ingenieur und Monobloc-Rollstuhl-Erfinder Don Schoendorfer von einer jungen Inderin, die an Muskelschwund litt, sich nicht mehr alleine fortbewegen konnte und eine der Ersten war, die von seiner Erfindung profitierten. Der Mann ist sichtlich bewegt, als er von ihr und anderen Menschen berichtet, denen er helfen konnte; es versagt ihm die Stimme, und plötzlich ist der hässliche weiße Plastikstuhl eine fesselnde Geschichte.

Allerdings zeigt sich in dieser Episode des Films auch die Schwäche des reinen Beobachtens und Unkommentiertlassens: Es fehlt die Einordnung. Der Film positioniert sich zwar implizit und benennt das zentrale Problem, um das es letztlich geht, indem Schoendorfer unter anderem feststellt, dass »99 Prozent der Welt in Besitz von einem Prozent der Menschheit« seien, nur ist das eben ein politisches Problem.

Schoendorfers Analyse und damit auch die des Films endet aber bei der bloßen Feststellung des Problems; und indem Wendler dem Ingenieur einfach in dessen Argumentation folgt, entgeht ihm, dass die von Schoendorfer geäußerte christliche Motivation (»Wir können das ignorieren und nur auf unseren Wohlstand schauen. Aber ich glaube nicht, dass es das ist, was Gott von uns erwartet«) eher Teil des Problems ist, als Teil der Lösung. Denn die krassen Ungerechtigkeiten auf der Welt können nicht durch hilfreiche Erfindungen und privates Engagement nachhaltig verändert werden, sondern nur gesellschaftlich, also indem die herrschenden Produktionsverhältnisse angegriffen werden.

Das muss Schoendorfer nicht interessieren, sein Engagement ist ein menschenfreundliches und an sich zunächst einmal nicht zu kritisieren. Das ändert aber nichts daran, dass uns hier eines der Resultate der barbarischen Auswirkungen der kapitalistischen Produktionsweise vorgeführt wird, nämlich die Tatsache, dass die entfalteten Produktivkräfte zwar ohne Weiteres für alle Bedürftigen hochwertige Rollstühle herstellen könnten, dies aber nicht passiert, weil alles immer an die Profit-Bedingung geknüpft ist und jedes Produkt nur an diejenigen herausgegeben werden kann, die über ausreichend Geldmittel verfügen.

Wer seine Arbeitskraft, wie etwa die gelähmte ugandische Frau im Film, auf dem globalisierten Arbeitsmarkt nicht verkaufen kann, muss, wenn überhaupt, mit einem Plastikstuhl-Rollstuhl vorliebnehmen, den ein freundlicher Herr aus Kalifornien erfunden hat und den einige freiwillige Helfer zusammenschrauben. Der Film zeigt diesen Wahnsinn, ohne dass er die Absurdität der Zustände wirklich zu fassen bekommt.

Dennoch: »Monobloc« ist ein unterhaltsamer, sehenswerter Film, und Wendler gelingt es in großer Entspanntheit, mit viel Warmherzigkeit, Humor und echtem Interesse an seinen Protagonisten, dem unbeliebten weißen Plastikstuhl ein sehr wohlwollendes filmisches Denkmal zu setzen.

»Monobloc«: Deutschland 2021. Regie: Hauke Wendler. 90 Minuten. Start: 27. Januar.

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