Den Bahnhof wie ein Schloss behandeln

Auch was kein Denkmal ist, kann erhaltenswert sein, mahnt Brandenburgs Landeskonservator

  • Wilfried Neiße, Potsdam
  • Lesedauer: 3 Min.

Nicht das Denkmalamt bewahrt Denkmäler, sondern die jeweiligen Eigentümer. Dieser Gedanke war Landeskonservator Thomas Drachenberg wichtig, als er am Freitag den Denkmalreport 2021/22 präsentierte. Er verband das mit einem Dank an diejenigen, deren Geld in den Erhalt von Denkmälern fließt. Die anstehende Restaurierung des Katharinenaltars im Brandenburger Dom etwa koste 200 000 Euro und wäre »ohne die Hilfe des Landes nicht umsetzbar«. Als gutes Beispiel zitierte Drachenberg Wittenbergs Bürgermeister Oliver Hermann (parteilos): »Der Bahnhof ist unser Schloss.«

Über 14 000 Objekte stehen inzwischen auf der Denkmalliste des Landes Brandenburg, und sie zu schützen ist immer wieder eine Frage von Abwägung und Interessenausgleich. Zu den Erfolgen des vergangenen Jahres zählt der Landeskonservator, dass im uckermärkischen Zernikow das Gutshaus aus dem 17. Jahrhundert nun nicht mehr dem Abriss geweiht sei. Hieß es vor 20 Jahren noch, dass 200 bis 300 Schlösser und Gutshäuser in der Mark nicht mehr zu retten seien, so hat das Streben vermögender Menschen nach Immobilien diese dunkle Vorhersage doch nicht eintreten lassen.

Erhaltung, Pflege und gegebenenfalls Umnutzung seien die Ziele seiner Arbeit, Nachhaltigkeit, Klimawandel und Erfassung des Bestandes deren Inhalte, erklärte Drachenberg. Auch wenn der Sinn für den Denkmalschutz in Deutschland so verwurzelt sei wie in kaum einem anderen Land - unter den Aspekten der Gewinnmaximierung werde doch lieber »abgerissen und neu gebaut«.

Drachenberg legte Wert darauf, Denkmalschutz nicht als eine sterile, abgehobene Sache aufzufassen. Die vorbildliche Sanierung des Stadtkerns von Eisenhüttenstadt müsse mit modernen Entwicklungsideen für die Kommune einhergehen. Je weiter weg von der Stadtgrenze man Eisenhüttenstadt betrachte, desto schillernder werde der Denkmalwert. Umgekehrt würden die Probleme zunehmen, je näher man tritt. Fortgesetzte Abwanderung sei genauso ein Thema wie Beharrungswille. Eine einseitige Ausrichtung der Stadt auf das Stahlwerk könnte gefährlich sein, mahnte Drachenberg. Warum nicht die Stadt mit hervorragendem Internet ausstatten und zum Wohnpark für Studierende aus Berlin, Cottbus und Frankfurt (Oder) entwickeln?

Zwei Prozent des Gebäudebestandes in Deutschland seien denkmalgeschützt, doch bedeute das nicht, dass der Rest im Zweifelsfall abgerissen werden sollte, sagte Drachenberg mit Blick auf das alte Rechenzentrum in Potsdam, in dem sich ein beliebtes Kunst- und Kreativhaus etabliert hat, dem jedoch kein Denkmalwert zuerkannt wurde. Die möglichst lange Nutzung eines Hauses bedeute auch immer Schonung von Ressourcen, so Drachenberg. Warum soll ein Dorf ein neues Gemeindezentrum bauen, wenn es die Kirche gebe, die dafür genutzt werden könne?

Denkmalschutz und Energiewende können dem Konservator zufolge auch in einem spannungsvollen Verhältnis stehen. Denn hinter dem Brandenburger Dom sollten sich die Windräder nicht drehen.

Im Zusammenhang mit den langen Trockenphasen der vergangenen Jahre stehen Probleme für kleine Schloss- und Stadtparks, mahnte der Denkmalschützer. Oft werde die Entnahme oder der Austausch von Pflanzen nicht dokumentiert. »Die Anlagen verändern sich, ohne dass wir wissen, was dort eigentlich mal gestanden hat.« Doch es bestehe kein Zweifel: Eine Reihe von Pflanzen, die vor 200 Jahren diese Anlagen geprägt hatten, sind heute dort nicht mehr überlebensfähig.

In 21 Fällen hatte sich der Denkmalschutz im vergangenen Jahr auch mit Anträgen auf Abriss von Objekten zu befassen, die als Denkmal eingestuft waren. Vom alten Gaswerk in Königs Wusterhausen und der Stadtbrücke in Oderberg habe man sich trennen müssen. »Eine Reparatur oder Sanierung war nicht mehr möglich.«

Als ein wichtiges Forschungsthema stellte Drachenberg die aufgefundenen 1700 Filmnegative aus dem Büro von Adolf Hitlers Architekt Albert Speer vor. Städtische Umgestaltung aus ideologischen Gründen, weitere Umgestaltungspläne im NS-Sinne und das Sendungsbewusstsein der Nazis würden sich hier eindrucksvoll belegen lassen.

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